Die Würde des blauen Kragens
Es fiel verdammt schwer, Fred Ward nicht zu mögen. Er war immer zuverlässig zur Stelle, wenn er gebraucht wurde. Einen besseren Freund, Bruder, Vater oder Widersacher konnte man den Figuren, an deren Seite er auftrat, nicht wünschen. Seine Charaktere ruhten in sich, selbstbewusst, ohne überschüssige Komplexe oder Neurosen. Sie lebten ungezwungen ihr Leben und nahmen die Dinge ernst, wenn es nötig war.
Typen wie ihm begegnete man selten in Seminaren, Redaktionen oder auf Pressekonferenzen. Es war viel wahrscheinlicher, sie auf dem Sitz eines Traktors, an einer Zapfsäule oder hinter einer Schweißerbrille anzutreffen. Exotisch erschien er mir nie, sondern vielmehr sehr vertraut. Natürlich war er eine Kinofigur, aber für mich stand er immer an der Schnittstelle zum wirklichen Leben. Ihn selbst habe ich nie getroffen – ich denke nicht, dass er viel davon hielt, Interviews zu geben und die Pressebetreuer seiner Filme kamen wohl auch nie auf die Idee, ihn dieser Prozedur auszusetzen -, hatte aber das Glück, ein paar Leute kennenzulernen, die mich augenblicklich an ihn erinnerten.
Beispielsweise Raymond, den Kameramann, mit dem ich früher oft in Paris arbeitete. Er war von der derselben gedrungenen, drahtigen Gestalt und strahlte eine altmodische Virilität aus, die selbstverständlich und aufgeschlossen war. Raymond hatte viel erlebt, war Kriegsberichterstatter in Algerien gewesen, und ihm machte niemand etwas vor. Jovan, der Gärtner meines Vaters, ist vom gleichen, wettergegerbten Schlag. Auch er nimmt sein Leben und Gewerbe stolz, ehrenvoll und vergnügt in Angriff. Mit Walter, der lange bei der hiesigen Kinemathek arbeitete, verbindet die Zwei eine tiefe Skepsis gegenüber Autoritäten und Prätention. Er war ein ungeniert kerniges Mannsbild und es hieß von ihm, er sei früher Tischler gewesen. Das hochtrabende Milieu, in das es ihn verschlagen hatte, betrachtete er mit verschmitztem Sarkasmus.
Es passte zu Fred Ward, dass er tatsächlich so hieß. Wie James Garner hatte er Vorfahren, die dem Stamm der Cherokee angehörten. (Was den Indianerwitz, den er in »Silkwood« erzählt, noch ulkiger macht.) Und es nimmt nicht wunder, dass er viel herumgekommen war, bevor er den Beruf des Schauspielers ergriff. Er war Holzfäller in Alaska und danach Berufssoldat gewesen. Seiner Nase sah man an, dass er mal geboxt hatte. Nach dem Schauspielstudium ging er nach Italien, wo er Synchron machte und 1973 vor der Kamera in einem der didaktischen Fernsehspiele debütierte, die Roberto Rossellini nach seinem Abschied vom Kino drehte.
Zum ersten Mal fiel er mir in »Flucht von Alcatraz« als einer der Anglin-Brüder auf. Die Szene, in der sie sich zu Clint Eastwood an den Kantinentisch setzen, ist genial. Sie nehmen die Wechselfälle des Strafvollzugs mit homerischer Gelassenheit und man kann nicht umhin, die amerikanische Justiz für den Großmut bewundern, die Zwei wirklich in das selbe Gefängnis zu stecken. Gut gelaunt berichten die Anglins also von ihrer aktuellen Verurteilung. Grinsend illustriert Ward ihr letztes Vergehen mit einer kleinen Pantomime. Joe träumte bestimmt schon als Kind davon, Berufsverbrecher zu werden. Allzu helle wirkt er nicht, aber mit ihm zu rechnen ist allemal. Natürlich schließen er und sein Bruder sich Clints Ausbruchsplan sofort an.
Ich war fasziniert von Wards Keckheit. Auf eine Visage wie die seine hatte das US-Kino Ende der 1970er lange gewartet. Sie schien geradewegs aus einem B-Picture der Nachkriegszeit zu stammen. Ein paar Jahre später freute ich mich, ihn in »Southern Comfort« (Die letzten Amerikaner) als einen der Nationalgardisten wiederzusehen. Meine helle Freude hatte ich an »The Right Stuff« (Der Stoff, aus dem die Helden sind), wo er Gus Grissom, einen der Astronauten des Mercury-Programms verkörpert. Das ist natürlich eine reale Figur, aber einen solchen Rollennamen hätte man ebenso gut für Ward erfinden können. Grissom ist der einzige, dessen Mission scheitert; ohne sein Verschulden wohlgemerkt. Wie sich die Kränkung, nicht als Held gefeiert zu werden, in Zorn verwandelt, spielt er großartig. Einen solchen Ausdruck von verletztem Stolz hätte ich mir seither auch in den Zügen von Raymond und Jovan vorstellen können.
In »Silkwood« spielte er, als Kollege vom Meryl Streep, eine bereits archetypische Ward- Figur. Wenn er als Mitglied der Abordnung im Cowboyhut nach Washington reist, um für ihre Rechte zu kämpfen – bodenständig auf fremdem Terrain, ein wenig naiv, aber voller Drang, sich Respekt zu verschaffen - , dann ist das ein Stück genuin amerikanischer Folklore. Dass er danach in »Remo – unbewaffnet und gefährlich« einen Pseudo-Superhelden mimte, fand ich eine kuriose Verirrung. Sein Knautschgesicht passte nicht auf Star-Rollen; ein Franchise wurde wohlweislich nicht daraus. Ward war kein Solist, sondern ein tragender Ensemblespieler. Aber auf Verrücktheiten ließ er sich immer wieder ein. Im letzten Herbst sah ich noch einmal »Henry und June«, wo er Henry Millers Glatze zwar mit Würde trug und sogar eine gewisse erotische Triftigkeit entwickelte, aber als Schriftsteller eben doch keine absolute Überzeugungskraft besaß. Das Amerikanische der Figur – ein Argloser im Ausland – bekam er gut hin. Das war nicht sein einziger Abstecher in den Kunstfilm, später trat er in einem Film von Alain Robbe-Grillet auf.
Im Nuancenreichtum des Genrekinos war er besser aufgehoben, nicht nur in Actionfilmen, sondern auch Komödien. Auf seine Selbstironie war so oder so Verlass. Sie kam ihm besonders gut zupass in dem prächtigen »Tremors – Im Land der Raketenwürmer«. Da ist die Bedrohung der ruppigen, ländlichen Beschaulichkeit selbst schon komisch, aber eben auch höllisch gefährlich. Solche Monstren konnten Ward nicht erschüttern, der sich bauernschlau zur Wehr setzte. Die Verteidigung amerikanischen Territoriums war bei ihm in tragikomisch guten Händen. Einer wie er ließ sich eben nichts gefallen, was auch für die Fortsetzung galt, die man sich nur seinetwegen anschauen konnte.
Er stieg einigermaßen rechtzeitig aus diesem B-Franchise aus, wenngleich nicht, um zwangsläufig in besseren Filmen aufzutreten. Schlecht war er auch in den schlechtesten nie. Ich vermute, er verachtete Brotarbeit nicht. Welche Ambitionen dabei unerfüllt blieben, verriet seine Zähigkeit nicht. Zwischendurch hatte Robert Altman einen Narren an ihm gefressen. Seine Rolle in »The Player« ist mir nicht mehr präsent, aber in „Short Cuts“ machte er starken Eindruck. Bestimmt erinnern Sie sich an die Geschichte mit den vertauschten Fotorollen. Da stoßen zwei gesellschaftliche Sphären aufeinander, die sonst nie in Tuchfühlung miteinander geraten wären. Kein Wunder, dass das gesamte Ensemble in Venedig mit dem Darstellerpreis ausgezeichnet wurde.
Einen hübschen Kulturschock erlebte man mit ihm auch in der Fisch-auf-dem-nicht-ganz-so-Trockenen-Komödie »Sweet Home Alabama«, wo ich ihn als traditionsbewussten Redneck sehr mochte. Danach verlor ich ihn mehr und mehr aus den Augen. Schwer zu sagen, ob er die falschen Filme drehte oder ich die falschen sah. In dem Spionagethriller »L'Affaire Farewell« begegnete ich ihm 2009 noch einmal wieder, reichlich unverhofft, denn da hat er einen Auftritt als Ronald Reagan. Auf einen solchen Besetzungscoup konnte wohl nur ein französischer Regisseur kommen. Ich wünschte, es hätte mehr davon gegeben. Nun ist Frederick Ward im Alter von 79 Jahren gestorben. Die Todesursache gab seine Familie nicht bekannt. Recht so. Wir vergessen es heute allzu oft: Manches darf Privatsache bleiben in einem Schauspielerleben.
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