Transatlantische Träume II
Als die BBC 1955 das Sendemonopol in Großbritannien verlor, begannen Lew und Leslie, sich für die Möglichkeiten des Privatfernsehens zu interessieren. Sie waren inzwischen finanzstarke Investoren. Anfang der 60er gründete Lew eine eigene Produktionsfirma, mit der er auch Kinofilme herstellen wollte. Aber zunächst kam er nur beim Fernsehen zum Zug.
Was dabei an Serien herauskam, lief mit einer leichten Verspätung auch auf bundesdeutschen Bildschirmen. Einige waren dank ihrer Exzentrik auf der Höhe der Swinging Sixties: „The Prisoner“ (Nummer Sechs), „Department S“ etc.; „Der Mann mit dem Koffer“ ist mir in vager, aber irgendwie glühender Erinnerung. „UFO“ war ein toller Ersatz, wenn „Raumschiff Enterprise“ gerade nicht lief; bei „Mondbasis Alpha“ ließ mein Interesse dann nach, obwohl die US-Schauspieler Martin Landau und Barbara Bain mitspielten, die schon in „Kobra, übernehmen Sie“ ein gutes Gespann waren (im Privatleben auch). Lews größter Importschlager waren „The Persuaders“, (Die Zwei). Die Legende, sie sei einzig in Deutschland - wegen der kalauernden Synchronisation von Rainer Brandt - ein Hit gewesen, stimmt nicht. Sie lief beispielsweise auch erfolgreich und ohne nennenswerte Nachbesserungen in Frankreich; das Titelthema von John Barry war unschlagbar. Und natürlich war es ein Coup, dass Lew Grade einen veritablen US-Star gewonnen hatte, Tony Curtis. Dessen Partner Roger Moore wickelte er gleichsam patriotisch ein: „The Country needs money. Think of the Queen!“ Zu diesem Zeitpunkt hatte er die „Persuaders“ indes längst schon in die USA verkauft.
Es muss ihn enorm gekränkt haben, dass er vom britischen Filmestablishment anfangs nicht ernst genommen wurde. Kaum mehr vorstellbar, aber es gab Zeiten, da blickte das Kino noch aufs Fernsehen herab. Ende der 60er fing Lew an, Spielfilme zu produzieren, als erstes einen Krimi mit Moore, dann bald auch Sachen mit mittleren US-Schauspielern. 1971 gewann er Bette Davis für „Madame Sin“ und brachte gleich zwei Filme mit Shirley MacLaine heraus, darunter einen relativ guten („Desperate Characters“, nach Paula Fox). Sein erster Film mit Blake Edwards, „Die Frucht des Tropenbaums“, war ein erster großer Wurf, lief aber nur in Italien und Australien gut. Mit der Wiederbelebung von Inspektor Clouseau („Die Rückkehr des Rosaroten Panther“) landeten die beiden dann 1975 ihren ersten echten Hit. Von nun an schien ihn nichts mehr aufhalten zu können. Die Pressekonferenzen, auf denen er in Cannes seine nächsten Projekte verkündete, waren epochale Ereignisse. Lew konnte gegenüber Journalisten ein echter Charmeur sein.
Auf Fotos aus dieser Zeit sieht er, mit seinem zuversichtlichen Lächeln, der behaglichen Glatze und den imposanten Zigarren, wie ein Mogul der alten Schule aus. Sein Scheckheft war unwiderstehlich, meistens jedenfalls. Als Produzent blieb er der Mentalität des Agenten verpflichtet, der Pakete aus großen oder weiland großen Namen schnürt. Drehbücher las er ungern, auch Muster schaute er sich in der Regel nicht an. Ich denke schon, dass er fürs Kino brannte, aber nicht so sehr wie für das Geld und den Ruhm. Unermüdlich war er auf der Suche nach amerikanischen Partnern – niemand im Filmgeschäft flog so oft mit der Concorde wie er -, die er auch stets fand. Aber die Filme, die dabei herauskamen, liefen in Europa dann doch besser. Die fiskalische und künstlerische Bilanz seines Werks ist gemischt: Sein Geschmack war heillos erratisch.
Man wundert sich, in seiner Filmographie auch einen Titel von Ken Loach zu finden, oder dass er an zwei Bergman-Filmen beteiligt war. George Pan Cosmatos und Michael Winner lagen ihm eher. Er hatte einen Narren an Charles Bronson gefressen und ebnete den „Muppets“ (die er schon in britischen Fernsehen bekannt gemacht hatte) den Weg auf die große Leinwand. Sein Name verbindet sich mit einigen trefflichen (etwa „The Long Good Friday“ mit Bob Hoskins und Helen Mirren, den George Harrisons „HandMade“ verlieh) oder nostalgischen („Lebwohl, mein Liebling“ mit Robert Mitchum als Philip Marlowe) Genrefilmen. Die Nostalgie war ein Problem. Vielleicht war er ein Mogul allzu alter Schule, denn seine Stoffe und Besetzungslisten schienen meist aus einer früheren Epoche zu stammen, genauer: jener Zeit, in der er „nur“ Fernsehproduzent gewesen war.
Seine größte Verrücktheit war „Hebt die Titanic“, dessen katastrophale Produktion und erbarmungswürdiges Einspiel ihm den Spitznamen Low Grade einbrachten. Dieses Fiasko konnte er noch mit Humor nehmen („It would have cost less to lower the Atlantic.“), aber sein Imperium brach Anfang der 80er auseinander – ironischerweise just in dem Moment, als er in Amerika plötzlich veritable, prestigeträchtige Kassenerfolge mit „Am goldenen Teich“, „Sophies Entscheidung“ und „Der dunkle Kristall“ feiern konnte. Quentin Falk und Dominic Prince haben ein ungemein materialreiches Buch über seinen Niedergang (ein wenig auch über seinen Aufstieg) geschrieben, „Last of a kind – The Sinking of Lew Grade“. Das Wesentliche erfährt man, etwas bündiger, in dem Kapitel „Swim and sink together“ in „National Heroes“ von Alexander Walker.
Bei Walker ist auch zu lesen, was Bernard Delfont zu dieser Zeit als Filmchef von EMI auf die Beine stellte. Man gewinnt einen sachten Eindruck von der Bruderrivalität, die zwischen ihm und Lew herrschte. Sie wurden im selben Jahr in den Adelsstand erhoben, wenngleich nicht im selben Rang. (Rächte sich Bernard mit dem eigenen, angekündigten Titanic-Projekt für die Kränkung?) Während Lew ein flamboyanter Showman war, hielt Lord Delfont sich im Hintergrund (auch dies eine Parallele zu den Seydoux-Brüdern: Nicolas ist eine sehr öffentliche Figur, Jérome hingegen verblüffend scheu). Es ist indes rührend, wie bei beiden Brüdern ihr Instinkt zuweilen dem Geschäftssinn in die Quere kam. Bernard weigerte sich als geschichtsbewusster Jude, „Hitler – die letzten zehn Tage“ mit Alec Guiness herauszubringen, weil er kein Geld mit dem Leid verdienen wollte, das seinem Volk zugefügt worden war.
Auch EMI hatte unter seiner Ägide große Ambitionen in den USA. In den 70ern war die Firma als Co-Produzent unter anderem an „Mord im Orientexpress“, „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ und „Die durch die Hölle gehen“ beteiligt. Ihr Engagement bei „Driver“ von Walter Hill und Sam Peckinpahs „Convoy“ folgte indes eher dem Muster Lew Grades: in den USA kapitale Enttäuschungen, in Europa beachtliche Erfolge. Eine interessante Erkenntnis Alexander Walkers ist die Umkehrung, die in diesem Jahrzehnt stattfand: Während in den 60er Jahren die Hollywoodstudios massiv in britische Produktionen investierten, drängte nun britisches Geld auf den amerikanischen Markt. Delfonts Gespür war trüglich. Er glaubte nicht an das Potential von „Gandhi“ und „Die Stunde des Siegers“, mit denen Goldcrest daraufhin immense Oscar- und kommerzielle Erfolge hatte. Ob ihn das grämte? Womöglich war es ihm bereits egal. Der Sohn ukrainischer Einwanderer saß im Oberhaus des britischen Parlaments und überließ transatlantische Träume nun anderen.
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