Nicht nur rosafarben

Dino Risi

Den Tod haben sie nie aus den Augen verloren; auch den eigenen nicht: Sie wussten, was es bedeutet, Tragikomödien zu erzählen. Als im Sommer 2007 innerhalb von 24 Stunden Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergman starben, bemerkte Dino Risi, falls er dann auch noch gestorben wäre, hätte es wohl nur für eine Meldung im Sportteil gereicht.

Es kam dann zwar anders – er überlebte die zwei Säulenheiligen des europäischen Autorenfilms um knapp ein Jahr –, aber leider bestand, zumindest hier zu Lande, keine nennenswerte Nachfrage nach Artikeln. (epd Film war da eine heroische Ausnahme.) Sein Kollege Luigi Comencini traf es etwas besser. Makaber war es aber auch. Als er am Karfreitag 2007 starb, bestand durchaus noch Interesse in den deutschsprachigen Feuilletons (wobei eine Zürcher Redakteurin ziemlich pikiert war, dass ich in meinem Nachruf seine berühmte Version von »Heidi« nur gestreift hatte). Eine Redaktion sah sich sogar gezwungen, nach einer Falschmeldung einige Jahre zuvor einen zweiten Nekrolog auf ihn zu drucken. Comencini hätte es zweifellos amüsiert, dass er gewissermaßen seinen eigenen Tod überlebte Das Bonmot von Risi wiederum muss man nicht nur auf ihn selbst beziehen, sondern insgesamt auf das Genre, in dem er und Comencini aufblühten: der Commedia all'italiana. Regelmäßige Leser dieses Blogs werden wissen, wie hoch ich sie schätze. Und sie werden eine Ahnung davon haben, wie sehr ich mich darüber freue, dass das Filmuseum in Frankfurt ihr eine kleine Retrospektive widmet. Sie ist nicht so groß angelegt wie vor einigen Jahren in Wien und Zürich, sondern konzentriert sich auf diese zwei Regisseure, deren Geburt in diesem Jahr ein Jahrhundert zurückliegt. Bei Risi ist das zwar nicht ganz eindeutig, manche Quellen nennen 1917 als sein Geburtsjahr. Aber genug davon, es kamen schon mehr Jahreszahlen in diesem Text vor, als seiner Lesbarkeit förderlich ist.

Die Reihe begann zwar schon vor einer Woche mit Comencinis »Liebe, Brot und Fantasie«, aber ab morgen (10.3.) nimmt sie richtig Fahrt auf, denn da kommt Risis Sohn Marco, um einen eigenen Film und danach den grandiosen »Una vita difficile« seines Vaters vorzustellen. »Liebe, Brot und Fantasie« gilt als der Durchbruch der Bewegung, wurde aber, zumal in Deutschland, zugleich als Verrat an den Idealen des Neorealismus verleumdet. Fortan setzte sich die Formel des »Neorealismus in Rosa« durch, was insofern stimmt, als die Komödie eine volkstümliche Fortsetzung der Aufbruchsbewegung im italienischen Nachkriegskino darstellt. Die Sittenbilder, die man in den nächsten Wochen in Frankfurt entdecken darf, betrachten die sozialen Widersprüche allerdings keineswegs durch eine rosafarbene Brille. Tatsächlich laufen entschieden sarkastische Abrechnungen mit den Mythen und verlogenen Werten einer Gesellschaft, die ganz närrisch wurde von der Welt der Verfügbarkeit, die durch den Wirtschaftsboom nun möglich wurde. Der gelernte Psychiater Risi wusste um die Macht der Selbsttäuschung und -überschätzung, was sich in »Verliebt in scharfe Kurven« und »Der Duft der Frauen« trefflich besichtigen lässt. Auch Comencinis »Der Kater lässt das Mausen nicht« und »Stau« nehmen die menschliche Schäbigkeit mit sensibler Furchtlosigkeit in den Blick. Seine schöne Version von »Pinocchio« fällt da ein wenig aus dem Rahmen. Dafür demonstriert sie sein besonderes, empathisches Gespür für den Prozess des Heranwachsens, der ihn zeitlebens passionierte.

Ein unverzichtbares Bindeglied zwischen den beiden Regisseuren fehlt, Comencinis Partisanenfarce »Tutti a Casa« (Der Weg zurück), an den »Una vita difficile« fast nahtlos anschließt; nicht nur wegen des grandiosen Hauptdarstellers Alberto Sordi. Das ist aber wohl weniger kuratorischer Kurzsichtigkeit anzulasten, sondern einer beklagenswerten Kopienlage. Eckhard Schleifer, ein großer Frankfurter Kenner des italienischen Kinos, hätte da vielleicht Rat gewusst. Er schickte mir einmal eine DVD, in der zu erkennen war, was die deutsche Zensur dem heimischen Publikum an Nazigräueln Anfang der 60er Jahre nicht zumuten mochte. Und »Una vita difficile« kam in Westdeutschland erst gar nicht in den Verleih. In der Sowjetunion hingegen, so erzählte einmal der Drehbuchautor Rodolfo Sonego. hatte er angeblich rund 60 Millionen Zuschauer. Das mag man ins Reich der Legende verweisen (die Daten scheinen es nicht zu bestätigen), markiert aber bezeichnende Mentalitätsunterschiede. Die Deutschen lassen sich vom Ausland eben nicht gern vorführen, wie man die Schrecken der Naziherrschaft und Besatzung zeigen kann. (Was die heftige Ablehnung, auf die »Son of Saul« in den hiesigen Feuilletons stößt, momentan ja auf andere Weise zeigt.) Wer wissen möchte, wie sich das Leben in Italien im Krieg und danach anfühlte, sollte sich den morgigen Abend also unbedingt für einen Besuch im Filmmuseum freihalten. Die Filmreihe ist ein Anfang, der in hiesigen Kinematheken Nachahmer finden sollte. Ein ganzer Kinosommer mit italienischen Komödien – nicht auszudenken, was für ein widerspenstiges Kinovergnügen das wäre!

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