Ein neues Adjektiv
Gerade las ich in der aktuellen Ausgabe dieser Filmzeitschrift den Bericht Frank Arnolds über das diesjährige Kolloquium des Berliner Filmmuseums, das sich mit dem Verhältnis zwischen Kino und Werbung beschäftigte. So dankbar ich ihm dafür bin, dass er einige der drögeren Vorträge unerwähnt lässt, so sehr bedaure ich, dass er es versäumt, auf zwei Beiträge einzugehen, die mich nachhaltig beeindruckten. Beide lagen auf Nachmittagsterminen, wo die Aufmerksamkeit gemeinhin nachlässt. Aber beide haben mich elektrisiert. Ihr Thema war Filmwerbung in sozialistischen Ländern.
Peter Bagrov, Kurator bei Gosfilmofond, sprach über sowjetische Trailer aus den 1920er bis 1940er Jahren, von denen leider nur wenige erhalten sind. Er tat es mit bisweilen süffisanter Begeisterung. Eigentlich habe es keinen rechten Anlass für ihre Existenz gegeben, führte er aus, denn auf dem Filmmarkt herrschte keine wirkliche Konkurrenz - aber da es Filmwerbung in Europa gab, musste es sie auch in der Sowjetunion geben. Allerdings fand Anfang der 20er eine gewisse Rückkehr zu kapitalistischen Marktstrukturen statt, es gab halb-private Studios wie Meshrabpom und es wurden viele ausländische Filme importiert. Das amerikanische Genrekino, der deutsche Expressionismus und französische Komödien waren beim russischen Publikum überaus beliebt. Die Produktion von Werbetrailern wurde zu einer wichtigen Einnahmequelle für Animationsfilmer. Anscheinend konnten sie frei mit ihren Vorgaben umgehen. Oft hatten ihre Arbeiten wenig mit den zu bewerbenden Filmen zu tun, waren verschmitzte Assoziationen zu deren Themen, spielten mit graphischen Elementen und der Schrift. Beinahe waren es Avantgardefilme. Später gerieten sie bisweilen zu Werbefilmen für den sowjetischen Lebensstil, feierten nebenbei Errungenschaften wie die Elektrizität. Es wäre schön, wenn man dieser verschollenen Tradition auf DVD habhaft werden könnte.
Der Grafiker Detlef Helmbold, der zeitweilig auch für den Progress-Filmverleih arbeitete, stellte erste Ergebnisse seiner Forschungen über das Filmplakat in der DDR vor. Das ist ein riesiges Gebiet, das rund 7000 Filme umfasst – nicht nur aus der Produktion der DEFA, sondern ebenso aus dem Westen. Der Vergleich zwischen Plakaten von hüben und drüben (etwa zu Das Mädchen Rosemarie, Spartacus und My Fair Lady) war erhellend. Helmbolds These lautet, dass die Plakatgestalter in der DDR von der Aufgabe entbunden waren, "werblich" zu sein. Dieses Adjektiv war mir bis dahin nicht gebräuchlich. Es fiel im Verlauf des Symposiums jedoch häufig. Tatsächlich hat es längst Eingang in den Duden gefunden.
Bevor es das Internet gab, stellte das Filmplakat ja meist die erste Begegnung des Publikums mit einem Film dar. Es sollte ein Medium erfolgreicher Kommunikation sein. Dafür braucht es Bildmotive, die den Betrachter provozieren, die ein Versprechen ausgeben. Helmbold führte vor Augen, wie in der DDR eine ganz eigene Tradition entstand. Dabei erwies er sich zwar nicht als ein begnadeter Rhetoriker (mitunter wünschte man sich, ihm würde endlich mal ein Synonym zu seinem Lieblings-Verb "erstellen" einfallen), aber als mitreißender Bildbetrachter. Er zeichnete stilistische Entwicklungen nach – von illustrativen Darstellungen zur Vorliebe für Porträt-Plakate, zu typografischer Gestaltung bis hin zu zeichenhafter Symbolik. Bezeichnend für alle Tendenzen ist jedoch, dass die Gestalter sich der Idee des Marketing nicht verpflichtet fühlten, gern auf die Namen der Stars und Hauptdarsteller verzichteten. Auch ihre Arbeit konnte losgelöst sein vom jeweiligen Film, die grafische Wirkung war ihnen meist wichtiger als das Diktat herkömmlicher Produktwerbung. Derlei selbstbewusste Autonomie führte zu einer Blüte des Metiers, die nicht weniger faszinierend ist als die weit bekanntere Kultur des Filmplakats in Polen. Hoffentlich veröffentlich Helmbold seine Forschungsergebnisse bald in einem Bildband.
Natürlich war die eigenwillige Interpretation eines Films keine exklusive Domäne sozialistischer Länder, man denke nur an die Plakate von Saul Bass. Einige Tage nach dem Symposium stieß ich auf einen verspäteten Nachruf auf den Frankfurter Plakatkünstler Hans Hilmman, den der Regisseur Christoph Hochhäusler vor einem Monat veröffentlichte. Hillmann hatte seinen eigenen Blick auf die Filme von Bunuel, Godard, Malle, Resnais und anderen. Mühelos finden Sie im Netz etliche seiner Motive, die nie zu viel über die Filme verraten, aber reizvolle Spuren zu ihnen auslegen. Er arbeitete ausschließlich für einen Verleih, die "Neue Filmkunst Walter Kirchner", der das deutsche Publikum ab 1953 mit Klassikern des Kinos vertraut machte, die in der Nazizeit nicht zu sehen gewesen waren und der ein Gespür dafür besaß, wie die Zukunft des Kinos aussehen könnte. Waren Hillmanns Plakate werblich? Bestimmt. Denn wenn man sie einmal gesehen hat, vergisst man sie nicht so schnell wieder.
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