Tiefenbohrungen
Also... wird’s jetzt bald mal was mit 3D? Im Kino, vor allem bei den Blockbustern, scheint das Format inzwischen unter nice to have zu laufen. Das dreidimensionale Fernsehen aber kommt nicht aus den Puschen. Eine Bestandsaufnahme
Das »Beyond«-Festival in Karlsruhe ist wahrscheinlich das größte öffentliche Forum zum Thema 3D in Deutschland. Als es 2011 zum ersten Mal stattfand, lag gerade die perfekte Stimmung in der Luft. Die Erinnerung an den Kassenerfolg von Avatar war noch frisch, Pina von Wim Wenders war gerade erschienen und versprach einen Vorstoß der Ästhetik in den Arthouse-Bereich. Die ganze Internationale Funkausstellung annoncierte 3D-Fernseher, und 3D-Enthusiasten wie »Beyond«-Gründer Ludger Pfanz von der Karlsruher Hochschule für Gestaltung stand es ins Gesicht geschrieben: Nach über hundert Jahren als belächelte Jahrmarktsattraktion würde sich Stereoskopie als Kunstform endlich emanzipieren.
Zwei Jahre später hatte das »Beyond«-Festival seinen Fokus deutlich erweitert. Gesprochen wurde über 3D-Bilder in der Biomedizin und der Sprachpädagogik, über Simulationen und künstliche Intelligenz. Stereoskopische Bilder auf Kinoleinwänden und Fernsehern spielten nur noch am Rande eine Rolle. Bei der ersten Panel-Diskussion des festivalbegleitenden Symposiums saß Ludger Pfanz mit zwei einsamen Kämpen auf der Bühne. Und trotz des Themas »The Future of 3D« wurde wenig über 3D gesprochen, es ging eher um eine generelle Bestandsaufnahme.
Seit die dritte, digitale 3D-Welle über die Bildschirme der Welt geschwappt ist, scheint die Fachpresse in einigen Segmenten nur darauf zu warten, den Hype erneut für beendet zu erklären. Und doch: Im Kino kann 3D inzwischen fast als etabliert gelten. Kaum ein Sommer-Blockbuster, der ohne dritte Dimension, egal wie überflüssig, auskommt und immer wieder mal anspruchsvollere Kost bietet wie Ang Lees Life of Pi oder Alfonso Cuaróns Gravity, von denen sich auch 3D-Skeptiker angetan zeigten. Man möchte meinen, dass 3D seinen Platz in der Filmwelt gefunden hat, etwa so wie der Farbfilm in den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts, als schwarzweiße Bilder noch die Norm waren.
Leider lässt sich dieser Befund bisher nicht vom großen auf den kleinen Bildschirm übertragen. Stereoskopisches Fernsehen ist in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch ein Thema, auf den großen Heimelektronikmessen sind die 3D-Fernseher verdrängt worden von schultafelgroßen »Ultra-HD«-Displays mit der vierfachen Auflösung normaler HD-Geräte. Auch die Fernsehsender geben nach: Der US-Sportsender ESPN kündigte im Juni an, seinen 3D-Fernsehkanal zum Ende des Jahres einzustellen, und die BBC, die zwei Jahre mit 3D experimentiert hatte, vermeldete nach dem Ende ihrer Wimbledon-Berichterstattung im Juli, man werde das Format vorerst nicht weiterverfolgen.
In Deutschland leistet man sich 3D-Demokanäle noch im Pay-TV bei Sky und T-Entertain. Die Sender zeigen Kinofilme und Sport-Highlights in 3D. Die Gerüchteküche brodelt allerdings bereits, dass auch das Angebot von Sky eventuell schon in den nächsten zwei Jahren eingestellt werden soll.
Es sind im Kern zwei Probleme, die 3D-TV zurückhalten. Das Format hat erstens noch immer nicht die kritische Masse erreicht, um aus dem Henne-Ei-Teufelskreis von zu wenig Angebot und deshalb zu wenig Nachfrage auszubrechen. Zweitens und wahrscheinlich entscheidend: Obwohl die Menschheit kein Problem damit zu haben scheint, sich in der dunklen Abgeschiedenheit des Kinos vor einer riesigen Leinwand eine hässliche 3D-Brille auf die Nase zu setzen, sieht das in den eigenen vier Wänden schon ganz anders aus – obwohl die meisten Flachbildfernseher inzwischen eine 3D-Funktion integriert haben.
Um das erste Problem zu lösen, müsste 3D-Produktion vor allem weniger aufwendig werden. Wer heute in 3D dreht, weiß: Die Kameraufbauten sind enorm klobig und kompliziert, kleine Fehler in der Kalibrierung können die intendierte Raumwirkung zunichtemachen, die zu verarbeitende Datenmenge und das benötigte Personal vervielfachen sich. Bei Sportereignissen, traditionell ein großer Motor für neue Bildformate, reicht es nicht, bisherige 2D-Kamerapositionen einfach durch 3D-Kameras zu ersetzen und mit dem gleichen Signal beide Kanäle zu bedienen. Damit die Raumtiefe wirkt, muss eine parallele Infrastruktur in 3D aufgebaut werden, deren Bilder in 2D wenig Sinn ergeben und umgekehrt.
In Hollywood hat es sich inzwischen fast etabliert, Filme in 2D zu drehen, aber durchaus mit Blick auf die 3D-Auswertung in die Tiefe zu inszenieren – so geschehen etwa bei Star Trek Into Darkness und Gravity. Die Produktion spart sich die Komplikationen eines stereoskopischen Drehs und dokumentiert stattdessen möglichst gut die Räumlichkeit der Drehorte. Der Tiefenkanal kann dann in der Postproduktion bequem und variabel in die Bilder hineingerechnet werden – der Prozess ist inzwischen so perfektioniert, dass ein ungeübtes Auge den Unterschied kaum erkennt. Ein großer Teil der Systeme, die derzeit in den Laboren der Branche entwickelt werden, zielt darauf, solche Hybridprozesse zu befördern, die maximale Flexibilität in der Produktion erlauben.
Was die Brillenfrage angeht, ruht die Hoffnung auf der Weiterentwicklung der sogenannten »Autostereoskopie«. Grob vereinfacht ausgedrückt sind autostereoskopische Bildschirme für brillenloses 3D mit einer sehr feinen Linsen- oder Rillenschicht überzogen, die dafür sorgt, dass das linke Auge des Betrachters nur das linke stereoskopische Bild zu sehen bekommt und das rechte Auge nur das rechte Bild. Die Technik ist alt – in primitiver Form steckt sie auch hinter »Wackelbildern«, die dem Betrachter eine Bewegung vorgaukeln –, doch sie ist derzeit noch stark limitiert.
Bei kleinen Schirmen, etwa auf Handys oder tragbaren Spielekonsolen, funktioniert das Prinzip recht gut, denn die Augen des Betrachters befinden sich immer in einem ähnlichen Winkel zum Bild. Doch mit wachsendem Bildschirm verändert die kleinste Kopfbewegung des Zuschauers den Betrachtungswinkel so stark, dass er nun eigentlich durch ein anderes Linsenpaar sehen müsste, um den 3D-Effekt nahtlos wirken zu lassen. Moderne autostereoskopische »Multiview«-Displays erkennen automatisch, wie viele Zuschauer sich wo befinden, und berechnen speziell für deren Position die Ansichten. Aber der Betrachter muss noch immer nur nah genug an den Bildschirm heran- oder zu weit nach links oder rechts aus dem »sweet spot« heraustreten, um die Tiefenwirkung zu verlieren. Bis zum standardmäßigen Heimkino-Genuss von Autostereoskopie ist es noch ein langer Weg. Zunächst werden der Technik größere Chancen auf bewegten Werbetafeln und öffentlichen Bildschirmen eingeräumt.
Seit Beginn des Jahres redet ohnehin keiner mehr von 3D-Fernsehen, sondern nur noch über das oben erwähnte, auch als 4K bekannte Ultra-HD-TV. Doch die beiden Entwicklungen hängen eng zusammen. Denn die hochauflösenden Bildschirme könnten, gemeinsam mit neuen Entwicklungen in der Datenkompression, ein entscheidender Motor für brillenloses »Multiview«-3D im Wohnzimmer werden. Mehr Bildpunkte bedeuten mehr Möglichkeiten, Blickwinkel für einzelne Zuschauer zu berechnen. Und wenn 3D erst einmal eine Sehoption ist, für deren Genuss kein zusätzlicher Aufwand betrieben werden muss, könnte auch in den Contentbereich die erforderliche Dynamik kommen.
Das gesamte Feld ist derzeit so stark in Bewegung, dass Vorhersagen schwierig sind. Schließlich steht, neben Auflösungs- und Brillenfragen, auch noch die Anzahl der Bilder pro Sekunde im Raum. Höhere Bildraten, wie sie Peter Jackson in seinen Hobbit-Filmen eingesetzt und James Cameron für die Avatar-Fortsetzungen angekündigt hat, machen 3D wesentlich angenehmer für die Augen, erhöhen aber wiederum die Menge der zu übertragenden Daten enorm und verursachen bei Kinopuristen Schweißausbrüche. Entscheidend ist jedenfalls, dass 3D sich zwar derzeit eine Weile aus dem Rampenlicht weggeduckt hat, aber wohl nur auf den rechten Moment wartet, um wieder aufzutauchen, egal ob singulär und dominant oder integriert in eine Vielzahl verschiedener Ästhetiken und Sehgewohnheiten.
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