Gespräch und Miteinander: Filmfestivals für Kinder & Jugendliche
Preisverleihung bei der Werkstatt der Jungen Filmszene 2016. In der Mitte: Projektleiter Philipp Aubel
Jenseits von Filmhochschulen hat sich eine Filmszene etabliert, in der Filme von Kindern und Heranwachsenden entstehen. Oft aus medienpädagogischen Initiativen hervorgegangen, gibt es Werkstätten und Festivals, auf denen sich der Nachwuchs trifft
Seit 51 Jahren arbeitet die Werkstatt der Jungen Filmszene – ein unglaublicher Rekord. Die Junge Filmszene, die sich jedes Jahr in Wiesbaden trifft, versammelt ambitionierte junge Filmemacher und bietet ihnen die Möglichkeit, sich an einem Arbeitswochenende auszutauschen, gegenseitig ihre Filme anzusehen und zu kritisieren. Workshops zum Filmemachen vertiefen die Einsicht in das Medium, und an diesem Wochenende werden Kontakte geknüpft, die manchmal noch jahrelang bestehen. Die Werkstatt ist eines von unzähligen Filmfesten für heranwachsende Filmemacher, organisiert vom Bundesverband Jugend und Film (BJF) und gehört sicherlich zu den Leuchtturmprojekten unter den Festivals für nichtprofessionelle Filmprojekte. Zu Beginn wurden Super-8-Filme eingereicht, dann Videos, nun digitale Speichermedien.
300 Filme wurden für dieses Jahr von Filmemachern eingereicht, die nicht älter als 26 Jahre sein durften. Thematisch auffällig bei den Einreichungen war in diesem Jahr die »Flüchtlingssituation«, wie Projektleiter Philipp Aubel erläutert. »Die Filme aus dem letzten Jahr sind oft selbstreflexiv, das Ich und sein Sein in der Welt hat Bedeutung. Seit ein paar Jahren tauchen auch Alter und Demenz als Themen auf. Kurz: Die jungen Filmschaffenden saugen ihre Erlebnisse aus ihrer Umwelt auf und verwandeln sie in Kurzfilme.« Den anhaltenden Erfolg der Jungen Filmszene sieht Aubel in einem »ungebrochenen Interesse für die Belange junger Filmschaffender, einem guten Infoportal, einer gute Festivaldatenbank – von geschätzten 400 (Kurz-)Filmfestivals in Deutschland haben wir fast 300 in der Datenbank – einer guten Workshopauswahl und regelmäßiger Interaktion auf unseren Social-Media-Channels.« Viele Teilnehmer von früher sind heute selbst Filmemacher. »So genau hab ich die Teilnehmenden der letzten 50 Jahre zwar nicht im Blick«, sagt Aubel, »aber es sind einige noch im Geschäft. Beispielsweise haben sich etabliert: Axel Ranisch (Regisseur, Schauspieler), Thomas Stellmach (Regisseur), Florian Gärtner (Regisseur), Erika von Moeller (Filmprofessorin und Regisseurin). Und Jakob Lass (Regie »Love Steaks« 2013) hat mal festgestellt: »Die Leute, die er auf der Werkstatt kennengelernt hat, würden ihm regelmäßig arbeitstechnisch begegnen.«
Neben der Jungen Filmszene ragt auch das Bundes.Festival.Film hervor, das vom Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veranstaltet wird. Um die lokalen Partner zu stärken, wirft das Festival seit 1988 immer wieder in einer anderen Stadt Anker, in diesem Jahr fand es in Mainz in Kooperation mit dem Institut für Medien und Pädagogik e. V. statt. Es ist zum festen Treffpunkt von Filminteressierten aus ganz Deutschland geworden. Das Festival vereint unter seinem neuen Titel nun den bisherigen »Deutschen Jugendvideopreis« und das ehemalige »Video der Generationen«. Bei der 29. Ausgabe in diesem Jahr waren es 819 Produktionen, die zu beiden Wettbewerben eingereicht wurden. Daraus zeigte das Festival eine Auswahl von 37 Filmen; die Preise wurden in den entsprechenden Alterskategorien vergeben.
Interessant an diesem Festival ist vor allem der Austausch der Jungen mit den Alten. Sie kommen miteinander über das Filmemachen ins Gespräch, und viele Projekte handeln von Erfahrungen der älteren Generation, wie zum Beispiel »Panama« von Christian Samajdar: »Die Kinder der Übergangsklasse erzählen im Unterricht von ihren Großeltern. Lediglich der Großvater von Juri lebt in Augsburg in einem Seniorenheim. Aber alle anderen hätten auch gerne einen Opa vor Ort« (Programmheft).
Für junge Filmemacher gibt es in ganz Deutschland die Möglichkeit, ihre Produktionen bei den unterschiedlichsten Filmfestivals einzureichen. Bayern beispielsweise hat unzählige kleine regionale Wettbewerbsfestivals wie »Flimmern & Rauschen« in München, die Schulfilmtage Gerbrunn, das »mobile clip festival« in der Münchner Villa Stuck und so weiter. Alle zwei Jahre findet dann an wechselnden Orten die Jufinale satt, in der die Gewinnerfilme der einzelnen Festivals um den Jufinale-Preis konkurrieren, veranstaltet vom JFF – Institut für Medienpädagogik und dem Bayerischen Jugendring (BJR). In anderen Bundesländern existieren ähnliche Konstruktionen.
FiSH ist ein ganz besonderes Festival. Hier trifft man auf Filmenthusiasten, ein kritisches Publikum und eine wunderbare Atmosphäre im Rostocker Stadthafen. Die besten Nachwuchsfilmer Deutschlands stellen sich dem Publikum und der Jury. Es wird gestritten, diskutiert und vor allem guter junger Film geschaut. Ganz besonders beeindruckt hat mich das Engagement des Festivalteams, das auch aus vielen freiwilligen Helfern besteht. FiSH ist ein frisches Festival von jungen Leuten für junge Leute.« Das sagt Ronald Zehrfeld über das FiSH-Festival (»Filmfestival im Stadthafen«), das dieses Jahr im Mai zum 13. Mal in Rostock stattfand und neben regionalen Produktionen immer wechselnde Partnerländer aus dem Ostseeraum hat; in diesem Jahr war es Dänemark mit insgesamt 31 Filmeinreichungen. Bei jungen Musikfreunden ist dieses Festival ganz besonders beliebt, da dort auch ein Musikvideopreis vergeben wird (siehe epd Film 6/09 und 6/15).
Die Medienkultur der Kinder und Jugendlichen hat sich radikal verändert. Es ist leichter geworden, einen Film herzustellen. Die einfache Verfügbarkeit unterschiedlicher Geräte und Formate machen sich die Veranstalter zunutze und versuchen, die jugendlichen Nutzer über ihre jeweiligen Vorlieben dazu zu bringen, die Ästhetik des Films kennen und interpretieren zu lernen. Zu jedem Gerät – Handy, Tablet, Kamera, Trickbox, 16 mm usw. – gibt es die Chance, sich an Workshops in jeglicher Form zu beteiligen.
Das beginnt natürlich mit dem Handy, auf dem kurze Clips gedreht werden können, und endet bei umfangreichen Filmdrehs, bei denen die Teilnehmer beispielsweise in Sommercamps vom Drehbuchschreiben über Ton, Kamera, Schnitt und Montage alle Grundlagen des Filmens ausprobieren und lernen können, bis sie schließlich einen fertigen Film in Händen halten. Wie es etwa das Filmprojekt »Movies in Motion« des Bundesverbands Jugend und Film vorgemacht hat, das mit »Morgenland« einen dokumentarisch anmutenden Film mit Flüchtlingsjugendlichen entwickelte. Erarbeitet über einen Zeitraum von mehreren Monaten, ist hierbei ein sehr persönliches Statement der Geflüchteten entstanden, die von ihren Sehnsuchtsorten erzählen.
Die einzelnen Filme entstehen in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen und unterschiedlich großen Teams. So wurde der Preisträger des KJF Videopreises 2015 in der Gruppe 3–6 Jahre, »Hier kein Prinz«, von 30 kleinen Kindern hergestellt (Kindergruppe Familienzentrum Dürener Straße, Dortmund). Ein wunderschöner Legetrickfilm, in dem sich die Märchenfiguren selbständig machen. Da von so jungen Kindern nicht durchgehende Aufmerksamkeit erwartet werden kann, kamen immer die Kinder dazu, die gerade Lust auf Filmemachen hatten.
Das Storyboard war allen bekannt, und so konnten die Kinder immer gleich mitarbeiten. In der Vertonung sprechen die Kinder sehr professionell die verschiedenen Figuren. Auf diese Weise konnte hier schon für Kindergartenkinder eine erste Idee vermittelt werden, wie ein Film entsteht.
Ein anderes Beispiel: Eine sehr gemischte Gruppe von 8- bis 14-Jährigen arbeitete in einem Ferienangebot der Stadtbibliothek München drei Tage lang an dem Silhouettenfilm »ET auf der Wiesn«, der seine Premiere in diesem Jahr bei der Jungen Filmszene gefeiert hat. Nach dem Vorbild der bekannten Scherenschnittkünstlerin Lotte Reiniger bietet das Kinderkino München mit der Medienwerkstatt regelmäßig solche Workshops an. In sich bewegliche schwarze Schattenfiguren werden ganz klassisch Bild für Bild über den Tricktisch bewegt. Die drei 14-jährigen Jungs in der Gruppe hatten aufmerksam zugehört, als es darum ging, die Technik zu erlernen. Aber bei der Entwicklung der Geschichte sind sie ausgestiegen. Mit den Worten »Wir überlegen uns was Eigenes« zogen sie sich an einen abgelegenen Tisch zurück. Schließlich kam die Frage: »Können wir auch einen Werbespot machen?« Ohne weitere Hilfe von den Workshopleiterinnen zu benötigen, schufen sie einen Werbeblock, der mitten in die ET-Geschichte geschnitten ist und einen ganz besonderen charakteristischen Look hat. Die Texte dazu haben sie sich dann auch gleich noch überlegt und aufgenommen. Die Reklame für ein Burger-Essen beinhaltet alles, was wir aus nervigen Werbeunterbrechungen kennen – sehr lustig.
Ganz andere Möglichkeiten bietet die Arbeit mit dem Tablet. Dafür gibt es von den jeweiligen Anbietern die unterschiedlichsten Programme, die es ermöglichen, auch in sehr kurzer Zeit passable Filme herzustellen, da die Voreinstellungen auf den Tablets die Bearbeitung der Filme vereinfachen.
Alle Angebote, ob für kleine Kinder oder Jugendliche, öffnen den Blick für die Vielfalt der Medien. Ist man ausschließlich Betrachter und Nutzer, fällt die kritische Beurteilung der Medienflut meist schwer und stellt eine Überforderung dar. Häufig werden die Inhalte und die Machart von den jungen Nutzern gar nicht hinterfragt. Werden sie aber in die Lage versetzt, sich praktisch mit den Ausdrucksmitteln der Filmkunst zu beschäftigen, steigt die Medienkompetenz und damit die Fähigkeit, kritische Fragen zu stellen und manipulative Bilder zu entlarven. Noch lange ist das Fach Medienkunde nicht verpflichtend an den Schulen angekommen, und immer noch ist es einzelnen Lehrern überlassen, Filmbildung in den Unterricht einzubinden. Umso wichtiger sind die Initiativen, die sich um die Fortbildung in diesem Bereich bemühen. Die Freude der jungen Filmer ist groß, und die Anerkennung macht sie stolz, wenn sie ihren Film auf der großen Leinwand sehen. So finden zum Beispiel beim Münchner »Flimmern & Rauschen« in einem ausverkauften 600-Plätze-Saal die Schulvorstellungen statt – eine sensationelle Atmosphäre, in der nicht nur die eigne Produktion beklatscht wird, sondern in der die Macher aufmerksam auch die Filme der anderen verfolgen.
Andreas Dresen hat einmal anlässlich des FiSH-Festivals die Bedeutung des jugendlichen Filmexperimentierens beschrieben: »Ich kenne solche Festivals wie das FiSH vom Jugendalter an und war mit meinen ersten Super-8-Filmen auf vielen ähnlichen Veranstaltungen. Oft genug habe ich im Saal gesessen, wenn eine offene Jurydiskussion war, so wie es hier der Fall ist. Ich weiß, dass es wehtun kann, weiß aber auch, wie wichtig es ist, die ehrliche Meinung gesagt zu bekommen. Festivals wie das FiSH fordern und fördern das Gespräch und das Miteinander – und das ist so unglaublich wichtig beim Filmemachen.«
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns