Apple TV+: »Blitz«
Kaum länger als ein Jahr ist es her, dass sich Steve McQueen der Zeit des Zweiten Weltkriegs gewidmet hat. In »The Occupied City«, zu sehen bei Mubi, erzählt der britische Regisseur viereinhalb Stunden lang die Geschichte seiner Wahlheimatstadt Amsterdam in den Jahren 1940–45. Sein neuer Film »Blitz« beschränkt sich auf einige wenige Tage im Herbst 1940 in London. Auch sonst halten sich die Parallelen in Grenzen, denn nach seiner dokumentarischen Arbeit ist McQueen nun wieder in fiktionalen Gefilden unterwegs.
Der Titel von McQueens fünftem Spielfilm (die »Small Axe«-Reihe nicht mitgezählt) deutet es an: Sein erstmals komplett ohne Co-Autor*in entstandenes Drehbuch spielt in jenen Monaten der deutschen Luftangriffe auf Großbritannien und vor allem London. Immer wieder müssen die alleinerziehende Mutter Rita (Saoirse Ronan), ihr neunjähriger Sohn George (Elliott Heffernan) und ihr Vater (Musiker Paul Weller in seiner ersten Rolle als Schauspieler) nachts in Schutzbunkern und U-Bahn-Schächten Zuflucht suchen. Weswegen Rita schließlich beschließt, doch das Angebot der Behörden anzunehmen, die Kinder raus aufs Land zu verschicken, wo man sie für die Dauer der Luftschlacht in Sicherheit wähnt.
Doch George möchte sich nicht von Mutter, Katze und Freunden trennen, und als der Sohn eines schwarzen Vaters in einem Zug voller verschickter Kinder von anderen gehänselt wird, springt er kurzerhand aus dem fahrenden Waggon. Während er sich zu Fuß auf den Weg zurück nach London macht, hat seine Mutter keine Ahnung, dass ihr Junge sein Ziel nie erreicht hat. Sie ist derweil mit der Arbeit in einer Munitionsfabrik beschäftigt, wo sie auch an einem von der BBC zur Erbauung veranstalteten Talentwettbewerb teilnimmt. Als sie von Georges Verschwinden erfährt, macht sie sich verzweifelt auf die Suche, während er auf seinem Heimweg die unterschiedlichsten, nicht immer angenehmen Begegnungen hat. Doch nicht zuletzt die nächtlichen Bomben erschweren das Wiedersehen von Mutter und Sohn.
Als düsteres Märchen im Stile der Brüder Grimm wolle er Blitz verstanden wissen, sagt McQueen im Interview. Wohl auch deswegen richtet er den Fokus auf seinen jungen Protagonisten. Es ist nicht so, dass die Gräuel des Krieges ausgeblendet würden, doch die Geschichte des Films ist geprägt vom unschuldig-naiven Blick des Kindes, das hier – getrennt von der Mutter und durch das Aufeinandertreffen mit Gut (Benjamin Clémentine wird als nigerianischer Luftschutzwart zum rettenden Engel) und Böse (Stephen Graham und Kathy Burke leiten eine Leichen fleddernde Gangsterbande) – eine ganz besondere Coming-of-Age-Entwicklung durchmacht.
Der hervorragende junge Hauptdarsteller Elliot Heffernan und die stets überzeugende Saoirse Ronan sind nicht das Einzige, was an Blitz sehenswert ist. Jacqueline Durrans Kostümdesign ist exzellent. Die CGI-Aufnahmen des halb zerstörten Londoner Ostens sehen überzeugend aus, und visuelle Spielereien wie Nahaufnahmen herabstürzender Sprengköpfe oder schwarzweißer Gänseblümchenwiesen verweisen auf McQueens frühere Arbeiten als VideoKünstler. Thematisch hat er viel zu sagen, geht es in dieser vermeintlich erbaulichen Überlebensgeschichte doch auch um Rassismus und strukturelle Benachteiligung der Arbeiterklasse, die Schattenseiten des Empires und die Überreste des Kolonialismus.
Allerdings ist das viel zu viel für diesen Zweistünder – und dass Harris Dickinson als Feuerwehrmann kaum mehr zu tun bekommt, als Ronan schöne Augen zu machen, lässt vermuten, dass in »Blitz« einiges der Schere zum Opfer gefallen ist. Was bleibt ist ein Film, der deutlich mehr von der Zurückhaltung vertragen hätte, die McQueen etwa in »Hunger« an den Tag legte, statt jedes narrative wie visuelle Klischee zu umarmen und in den Dialogen jegliche Subtilität über Bord zu werfen.
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