Buch-Tipp: Jessica Niebel – Hayao Miyazaki

Prächtig!

Es gibt viele Bücher, die das Werk und einzelne Filme von Hayao Miyazaki thematisieren und in Skizzen, Imageboards und Storyboards, in filigranen Zeichnungen, luftigen Aquarellen und satten Filmbildern schwelgen. Doch dieses ist ein ganz besonderes – opulent ausgestattet, liebe­voll zusammengestellt und klug kompiliert. Entstanden ist es aus tiefer Bewunderung und Hingabe von Jessica Niebel, der Ausstellungskuratorin des gerade eröffneten Academy Museums in Los Angeles und Herausgeberin des Katalogs der Eröffnungsausstellung zum Werk von Hayao Miyazaki. Und aus ihrer intensiven Zusammenarbeit mit den Ghibli-Studios und dem Ghibli-­Museum in Tokio, die ihre Archive zugänglich gemacht und viele, bisher unveröffentlichte Kostbarkeiten für die Ausstellung zur Verfügung gestellt haben.

Wenn man sich einen ersten Eindruck von der Pracht der Bilder gemacht hat, eingetaucht ist in die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Filme, dann bieten die Texte so kurzweilige wie informative Beschreibungen und Analysen, derer man sich dann wiederum in den Bildern rückversichern kann. Statt einer streng bio- und filmografischen Chronologie zu gehorchen, folgen die Texte Motiven und Themen quer durch das Werk. Es geht um Miyazakis Verhältnis zur Natur mit den magischen Wäldern, zur Spiritualität mit ihren Portalen, die die irdische mit überirdischen Sphären verbinden, um die Beziehung zu Industrie und Technologie im Allgemeinen (die zwischen den Polen der frühen Fortschrittsbewunderung und der späten Kapitalismuskritik aufgespannt ist) und zur Luftfahrt im Besonderen, mit all den nostalgischen bis bizarren, flinken bis trägen Fluggeräten, zu denen schließlich sogar ein fliegendes Schloss gehört. Es geht um das Leben im Einklang mit den Kräften der Natur und das frühe Engagement für die Umwelt und die Gleichberechtigung. Es sind große Themen, die Miyazaki nie didaktisch herausstellt, sondern immer harmonisch einbindet in den Fluss der Geschichten und die Charakterentwicklung der Helden, die in der Regel Kinder sind und allermeistens selbstbewusste, eigensinnige Mädchen auf der Suche nach ihrer Bestimmung. 

Genauso fließend werden die Themen in den Texten behandelt, die immer zugleich Leitfaden für angehende Filmemacher und erzählerische Analysen sind. Sie begleiten die Entstehung dieser Welten und Charaktere von Miyazakis ersten intensiven Beobachtungen der Welt (die übrigens nie von Fotografien oder Zeichnungen gestützt sind) bis zu den fertig vertonten und synchronisierten Filmen und folgen zugleich den mannigfaltigen Inspirationslinien, zu denen europäische Literaturklassiker (Homer, Dickens, Jules Verne, Shakespeare, Robert Louis Stevenson, Johanna Spyri), aber auch französische Comics von Hergé und japanische Regisseure wie Kurosawa, Ozu, Naruse und amerikanische wie Chaplin gehören, außerdem so reale Ereignisse wie Erdbeben in Japan und Kohlearbeiterstreiks in England.

Neben dem weit ausholenden, den Inspirationslinien folgenden Essay von ­Daniel Kothenschulte gehört dazu ein kleiner Hommage­text von Pixar-Schöpfer Pete Doctor, der Miyazaki auch in seinem Film Up ­seine Ehrerbietung erwies, und viele ­kleinere Analysesatelliten von Jessica Niebel. Es ist ein reichhaltiges Kompendium, das hier in Wort und Bild ausgebreitet wird und das Zeug zum Klassiker hat.

 

Jessica Niebel: Hayao Miyazaki. DelMonico Books, New York 2021. 288 S., ca. 36 €. Englisch.

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