Berlinale: Kunst und Kommunikation
»Die andere Seite der Hoffnung« (2017). Foto: Malla Hukkanen © Sputnik Oy
Aki Kaurismäki meldet sich mit Nachdruck zurück, Joseph Beuys spricht aus dem Jenseits, und bei Thomas Arslan haben sich die Leute nichts zu sagen. Eindrücke aus dem Mittelteil des Berlinale-Wettbewerbs
Wie er die Islamisierung Europas sieht? Aki Kaurismäki lässt sich die Frage wiederholen. Dann meint er, Island sei ja ganz gut im Fussball gewesen, aber wir müssten doch nicht die Islandisierung Europas fürchten. Tatsächlich wird es sich da um ein Missverständnis gehandelt haben. Denn in Kaurismäkis »Die andere Seite der Hoffnung« geht es um Verständigung, nicht um Abgrenzung. Der Film, den der finnische Regisseur am Dienstag im Berlinale-Wettbewerb vorstellte, korrespondiert thematisch mit seinem letzten, »Le Havre«, der schon sechs Jahre zurückliegt: Es ist die empathische Geschichte eines Flüchtlings, dieses Mal angesiedelt in der Hafenstadt Helsinki.
Hier kommt Khaled (Sherwan Haji) aus Aleppo mit dem Frachter an – ein schwarzer Mann, buchstäblich, denn er hatte sich in einer Ladung Kohlen verborgen. Frisch geduscht begibt er sich zur Polizei und bittet um Asyl. Sein Fall scheint klar: Der junge Mann hat im Krieg fast seine ganze Familie verloren – und auf der Flucht über die Balkanroute wurde er auch noch von seiner Schwester getrennt. Die will Khaled wiederfinden.
Für Aki Kaurismäki, den Meister des Versponnenen und Metaphorischen (»Wolken ziehen vorüber«, »Der Mann ohne Vergangenheit«), wirkt diese Story überraschend tagesaktuell. Aber da gibt es ja noch Wikström (Sakari Kuosmanen), einen älteren Herrn, der seine Frau verlässt und seinen Job als Handelsvertreter für Hemden und Krawatten hinschmeißt, um eine Kneipe zu eröffnen. In der versammelt er ein Kaurismäki-typisches Personal aus wortkargen, zeitlos schlechtfrisierten Losern, die Khaled einen Hafen bieten.
»Die andere Seite der Hoffnung« ist formal weniger stringent als Kaurismäkis Klassiker – als hätte das Anliegen, etwas zum akuten Elend der Migration zu sagen, die Inszenierung aus der Balance gebracht. Aber es gibt immer noch den staubtrockenen Humor – Scheidung auf Finnisch? Schlüssel und Ehering auf den Tisch werfen –, die glühenden Farben und: diese Liebe zu den Leuten, den Humanismus Kaurismäkiensis.
Eher politisch-historisch wirkte einer der mit Spannung erwarteten deutschen Filme im Wettbewerb: Andres Veiels Dokumentation über den Künstler und Kunstprofessor Joseph Beuys. Veiel, der sonst gerne mit Interviews operiert, hatte für dieses Projekt Zugang zu unerschlossenem Archivmaterial. Film- und Fernsehaufnahmen, Fotos und Zeichnungen arrangiert er in »Beuys« zu Collagen und Bildersequenzen, die informativ und anregend wirken, oft aber auch suggestiv – schon deshalb, weil jeder Auftritt des 1986 gestorbenen Beuys eine machtvolle Inszenierung gewesen sein muss. Vom filzüberzogenen Piano über die 7000 für die Kasseler Documenta gepflanzten Eichen, von der Installation »Das Rudel« mit 40 Schlitten bis zur »Fettecke« lässt der Film das Werk des Düsseldorfers Revue passieren. Und Beuys erklärt sich selbst: seinen »erweiterten« Kunstbegriff – irgendwann ist »jede normale Situation Kunst« –, seine Vorliebe für geschmeidige und fusslige Materialien – »alles, was Kraft speichert« –, seine gesellschaftliche Vision – jenseits »von Kapitalismus und Kommunismus«. Man muss kein Beuys-Skeptiker sein, um sich zu wünschen, der Film behandelte ihn nicht so sehr als Singularität, sondern lieferte etwas mehr Einordnung: in die Kunstgeschichte der Sechziger und Siebziger, die ja eine Ära des allgemeinen Aufbruchs war, in den eher diffus-linken, auch esoterischen Polittrend, der mit den »Grünen« – Beuys gehörte zu den Gründungsmitgliedern – über die Republik schwappte.
Ins Private zog es den Berliner Regisseur Thomas Arslan mit dem Zweipersonenstück »Helle Nächte«. Georg Friedrich spielt einen Bauingenieur, der seinen von ihm vernachlässigten, bei der Mutter lebenden Sohn (Tristan Göbel) nötigt, eine Reise durch Norwegen zu machen – erst wird der Großvater beerdigt, dann geht es in die Berge, zum Campen und, vielleicht, zur Wiederannäherung. Arslan hatte sich mit dem Kriminalfilm »Im Schatten« und dem Western »Gold« – 2013 in der Konkurrenz – vom Inszenierungsstil der für ihre Strenge bekannten Berliner Schule zu lösen begonnen; die »Hellen Nächte« sind jedoch wieder extrem reduziert. Sorgen lange, atmosphärische Fahrten durch weite Landschaften noch für eine gewisse visuelle Spannung, so zerbröselt unter der Setzung »Filme erzählen in Bildern, und diese Figuren können sich sowieso nicht artikulieren« das Drehbuch. »Wie redest du eigentlich mit mir? – Du hast mir gar nichts zu sagen«. Das ist eine Alltagssituation, auf die man vielleicht nicht mal den erweiterten Kunstbegriff von Beuys anwenden möchte.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns