Lutz Dammbeck – Ein Dissident der Form

Ein Werkporträt
»Overgames«

»Overgames«

Schwer zu sagen, worum es in den Filmen von Lutz Dammbeck geht. Kunst und Aufklärung, Politik und Kybernetik . . . Jetzt gibt es nach längerer Sendepause in dem Dokumentarfilm »Overgames« wieder etwas zu enträtseln: Gameshows, die Psyche der Deutschen. Thomas Meder über das filmische Gesamtwerk des Mediakünstlers 

Zwölf Jahre nach »Das Netz« kommt ein neuer Film von Lutz Dammbeck ins Kino. Wie alle seine Filme ist »Overgames« eine Collage von ausladenden Re­cher­chen mit listig geführten Inter­views, grundiert von einer zum Assoziieren einla­denden Gestaltung, die den bildenden Künstler in Dammbeck verrät.

»Overgames« verfolgt eine kühne These: Der Film stellt einen Zusammenhang her zwischen dem Versuch der Amerikaner, die Deutschen nach dem Krieg »umzuerziehen«, und den Konzepten früher Gameshows, einer blinden »Spielwut« im Fernsehen der Sechziger. Dass ein solcher Film im Eigenverleih des Machers herauskommt, ist ein Zeichen der Zeit. Präsenter als im Kino sind Dammbecks Filme heute anderswo: Die Haupt­wer­ke »Zeit der Götter« (1993), »Das Meisterspiel« (1998) und »Das Netz« (2003) liegen mit interaktiver CD-Rom in einem Schu­ber »Kunst und Macht« vor, das Früh­werk aus der DDR ist in der »Edition Film­museum« vor­bildlich zugänglich. Im kulturellen und intellektuellen Diskurs, in Ausstellun­gen und Universi­täten hat dieses Werk heute einen sicheren Ort. Film hat bekanntlich vie­lerlei Facet­ten; noch nicht selbstverständlich ist, ihn als Trans­portmittel der Ideen­geschichte ernst zu nehmen. Dammbeck ist in dieser Rich­tung rast­los unter­wegs. Unlängst erschien der Werkstatt­bericht »Besessen von Pop« als autobiografisch angelegte Bilanz, die den Weg des gebürtigen Leip­zigers, der seit 1986 in Hamburg lebt, in bemerkenswert schnör­kelloser Art transparent werden lässt.

»Zeit der Götter« (1993)

Ein guter Einstieg in das Werk, gleichzeitig eine echte Herausforderung, ist die Medien­collage »Herakles Höhle« (1990): Dammbecks erste Arbeit im Westen, noch im Osten konzi­piert und von großer formaler Rigidität. Erratisch stehen darin zwei eingespro­chene Fremdtexte, die sich in einiger Entfernung von der Bildebene halten. Eine Eigenheit bei Dammbeck ist die Rolle der Sprache: bildhafte Metaphern und Parabeln, hier gelie­hen von den Brüdern Grimm und Heiner Müller, eine uneigentliche Rede, die den Weg frei macht für Wirkungen des Filmischen. Um den Bildern gebührlichen Raum zu geben, wird der allwissende Exper­te gemieden und auch jede andere theatralische Bühne, von der he­runter dekla­miert wird, um dem Sichtbaren eine Bestimmung zu geben. So eröffnen sich Such­be­wegun­gen, in den Langfilmen immer in Verbindung mit einer Recherchereise, zu der man eingela­den ist. Erzähl­tes ste­hen las­sen und begreifen, das möchte der Filme­macher expressis verbis dele­gie­ren. Dammbeck ist eher Essayist als Doku­men­tarist. Vor­filmi­sche Ereig­nis­se, Tex­te und Bilder sind ihm Ausgang für die Konstruk­tion von Denk­räu­men. »Herak­les Höhle« bildet in dieser Hinsicht einen Katalog an Leitmo­ti­ven, gruppiert zu einem Be­zie­hungs­geflecht, das über die Jahre hinweg ein ganzes »Herakles-Kon­zept« ausgebil­det hat. Nach­lesen lassen sich diese und andere Ideen in mate­rial­rei­chen Beischriften, Büchern, die es auch zum »Mei­ster­spiel«, zum Netz und zu Overgames gibt. Kon­struk­tionen von Iden­tität – und für Damm­beck ist das im­mer kul­turell ange­nom­mene Identität – sind das Ziel seiner Filme; die blitzhafte Er­kennt­nis auf dem Weg dorthin, das ureigene Vermögen des Bildmediums Film, ist ihr innerer Antrieb.

»Herakles Höhle« (1990)

Der gelernte Schriftsetzer Dammbeck hatte Buch- und Plakatgestaltung studiert, ehe er sich dem Animationsfilm zuwandte. Trickfilm gab es in der DDR nur bei der Defa. Dort fest zu landen, interessierte den Sohn eines Pferdetrainers weniger. Brotjobs waren kein Problem; auch die Leipziger Messe hielt sie bereit. Wichtiger war, sich von den Ver­tre­tern der realistischen Meistererzählung des Sozialismus an der Leipziger Hochschule ab­zusetzen, von den Heisigs und Tübkes, denen später mit »Dürers Erben« (1995) ein ganzer Film gewidmet wird. Wir dagegen wollten zeigen, schreibt Damm­beck, dass eine andere Kunst herange­wach­sen war, interdisziplinär und multimedial, die versuchte, sich von staat­li­cher Ali­men­tierung und Vereinnahmung abzugrenzen. Die dem Künstler zugewie­sene Wohnung mit Par­kett wird billigend in Kauf genom­men, ein Phä­nomen wie der Kunst­markt, in der DDR gänzlich unbekannt, bleibt indes auf Dauer fremd. Der Samm­ler Peter Ludwig erscheint mit seiner idealen Kunstauffassung bei Dammbeck wie ein Alien. Frühe Collagen vernä­hen ganz wörtlich getrennte Identitäten. Die Kurz­filme sind voll von Kopf­füßl­ern und ande­ren traurigen Gestalten, die sich an ihrer sozialen Umgebung sinnlos ab­ar­beiten. Was in der DDR noch lockt, ist sinnliches Erleben einer unbestimmten Bewegung des Films in der reinen Form der Ab­straktion. Stärker als in der »Hommage à la Sarraz« (1981) wird das deut­lich an dem aufgezeichneten »REALfilm« (1986), der einem Saalpubli­kum filmisches Mon­tieren, Über­blen­den und Vertonen in körperlich erlebbarer Weise nahe­bringt. Der Stasi müssen die Augen übergegangen sein.

»Dürers Erben« (1995)

Wahre Kunst spricht nicht, über sie wird gesprochen. Die Formel von Régis Debray gilt für Damm­beck insbesondere für die 90er Jahre, der Zeit der inneren Annäherung von Ost und West. Die Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus erscheint im Fokus seiner Filme in ganz eigenem Licht. An Arno Breker interessiert ihn der Übergang vom avantgar­di­stischen Schwung der 20er Jahre zum Dramatiker des Heroischen. »Zeit der Götter« entlarvt den bemühten Rück­bezug auf die griechische Antike; nicht nur in diesem Diskurs wirken Brekers Naziplastiken wie fratzen­hafte Freeze Frames aus einer Comicverfil­mung.

Dammbeck thema­ti­siert bevor­zugt unver­daute Reste dessen, was Aufklä­rung, moder­ne Kunst und par­lamen­ta­ri­sche De­mo­kra­tie übrig ge­lassen haben. Er sitzt gern am Rand kleiner Biotope des Radika­len. Ein Jean Marais wird entzaubert allein durch die Art, wie Dammbeck Menschen zum Sprechen bringt. Die skurrilsten Ein­blicke bie­tet »Das Meister­spiel«, hier: in den über­kommenen Austrofaschismus und eine bom­ben­zün­den­de Neue Rechte. Bei keinem Film, so Dammbeck im Nach­hi­nein, seien ihm Ma­te­rial und Vor­gänge so rät­sel­haft geblie­ben. Um der Verwirrung Herr zu werden, stell­te er kleine Foto­halter auf ein Spielbrett und eröffnete so 15 tentative »Züge« durch­aus hete­ro­gener Kapi­tel. So erreicht er die »Strenge und Klarheit der Komposi­tion«, die er für den dokumen­tari­schen Film fordert, ohne sie selbst allzeit durchzuhalten.

»Das Meister­spiel« (1998)

Er sei durch das Portal der Kunst auf das Terrain des Dokumentarfilms gestolpert, äußer­te Dammbeck: »In der Gestaltung der Bilder, der Montage und im Einsatz der Musik arbeite ich intuitiv, wie ein Maler arbeitet: Flecken setzen, Massen verschie­ben und Schwerpunkte betonen.« Film ist so nicht länger ein Fenster auf die Welt, sondern eher die eigene Wohnung – ein Bild, mit dem Dammbeck Filme tatsächlich be­ginnen ließ. Die Leit­metapher des Bil­des seit der frühen Neuzeit gerät aus dem Gleichge­wicht. Dann werden Schei­ben wieder mit Farbe zugeschmiert, werden blind, wird der Blick verwei­gert. Damm­beck setzt auf Assoziation wie auf Dissoziation, auf ein Bedeu­ten, das dem Publi­kum nicht automatisch einen Sinn einflößt. Durch motivische Verknüp­fungen in wei­testen Bögen soll Den­ken ange­regt werden.

Die beiden letzten Projekte, »Das Netz« und »Overgames«, sind öffentlich gefördert und von Sende­anstalten koproduziert. Neue Dimensionen eröffnen sich. Und Dammbeck verlässt die deutsche The­matik. Für die beiden »amerikanischen Filme« ist bezeichnend, dass auch die Autorenperspektive wech­selt. Angezogen von offenen Systemen, die Kommuni­kation aller mit allen ver­spre­chen, gleicht die Such­be­wegun­g nun eher einem Treiben­lassen zu Halte­punkten, auch zu Störun­gen des Sy­stems, die eine konstruk­tivi­stische Welt­sicht und indi­vi­duelles Aus­scheren ermög­lichen. Un­verhohlen ist Das Netz die zuge­wandte Auseinan­dersetzung mit der Posi­tion eines Anar­chi­sten, des sogenannten Unabombers – ein starkes Movens wiede­rum für die Verteidigung der Gegen­sei­te, die Apo­stel der digitalen Evolu­tion, des Internets. In »Overgames« frönt der Autor dem Vor-Spiel der entfesselten Medienmoderne. Die kommerzielle TV-Game­show als Symptom für das Ein­lullen und Ausrichten breiter Mas­sen, das hat etwas für den Blick auf Amerika; für hiesige Ver­hält­nisse wäre die Stimme der dominant kritischen Gegenöffentlichkeit un­umgeh­bar. Dialektik ist freilich Damm­becks Sache nicht. Dass er die ei­ge­ne Stimme diesmal ei­nem sachlich vortragenden Sprecher über­lässt, muss aber ernsthaft be­dauert werden, so sehr hat man sich an dieses eigenartige Sächseln im deutschen Film gewöhnt.

Thomas Meder ist Professor für Medientheorie an der Hochschule Mainz

»Overgames« startet am 21.4.


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