Warten auf den Führer
»Leroy« (2007)
Burhan Qurbani hat in seinem zweiten Spielfilm »Wir sind jung. Wir sind stark« das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen nachinszeniert. Ein Thema, bei dem man viel falsch machen kann. Rudolf Worschech hat sich gefragt, wie das Kino die rechtsradikale Szene darstellt
Wie ein Anführer wirkt er eigentlich nicht. Stefan, dargestellt von Jonas Nay, ist ein introvertierter, ausgleichender Typ, versucht, Streit zu schlichten, und überlässt rechtsradikale Sprüche eher seinen Kumpels Robbie und Sandro, die schon mal »Heil Hitler!« schreien und von einer »völkischen Revolution« schwafeln. Auch die große Geste liebt Stefan nicht, er läuft eher mit. Doch ausgerechnet er wird den ersten Molotowcocktail auf ein Hochhaus werfen, vor dem sich ein aufgebrachter, aufgehetzter Mob versammelt hat, schwankend zwischen Fremdenhass und Volksfeststimmung. Unter bis heute nicht geklärten Umständen zog sich die Polizei, die das Haus gesichert hatte, für kurze Zeit zurück und überließ dem Mob das Feld. Und nicht nur Stefan und seine Gruppe stürmten das Haus, in dem sich die anwesenden Menschen, in der Hauptsache in Deutschland arbeitende Vietnamesen, mehr und mehr in die oberen Stockwerke zurückzogen.
Das war am 24. August 1992 in Rostock-Lichtenhagen. Der junge Regisseur Burhan Qurbani hat diese rechtsradikalen Gewalttaten in seinem zweiten Film Wir sind jung. Wir sind stark, der im Oktober die Internationalen Hofer Filmtage eröffnete, nachgestellt. In der »alten« Bundesrepublik war Rechtsradikalismus ein eher marginales Thema, das vor allem die Ewiggestrigen betraf. Mit dem Pogrom von Rostock 1992, den ausländerfeindlichen Übergriffen in Hoyerswerda ein Jahr zuvor und den Mordanschlägen von Mölln (1992) und Solingen (1993) wurde der Öffentlichkeit bewusst, dass rechtsradikale Gewalt in der Bundesrepublik an der Tagsordnung ist. Und das nicht nur im Osten, in den neuen Bundesländern.
Fast 200 Todesopfer hat die Gewalt von rechts seit der sogenannten Wiedervereinigung gefordert – und dennoch gibt es nicht viel mehr als ein gutes Dutzend deutscher Spielfilme, die sich damit beschäftigt haben. Das mag daran liegen, dass Kino und Fernsehen die Zuschauer mit NS-Bewältigungen in der Art der Götterdämmerungsfantasie Der Untergang (2004) förmlich traktiert haben. Die letzten beiden Jahrzehnte gehörten Hitler und Co. Und vielleicht ist ja eine schwarze SS-Uniform fotogener als ein vollgepinkelter Neonazi in Jogginghose und Nationalmannschaftstrikot, der volltrunken den Arm zum Hitlergruß streckt.
Dieses Bild hat damals ein »Focus«-Fotograf in Lichtenhagen geschossen. Qurbani erspart uns, das nachzuinszenieren – obwohl in seinem Film, wie in dem meisten zum Thema rechtsradikale Jugendliche, das Bier und der Alkohol in Strömen fließen. Mitglied einer rechtsradikalen Gang zu sein, das hat immer auch etwas Rauschhaftes – so als wollten die Regisseure einen Zustand geminderten intellektuellen Bewusstseins andeuten. Nicht ganz zurechnungsfähig, gewissermaßen. Stefan in Wir sind jung. Wir sind stark ist allerdings keiner der vielen Prolls, die sonst die Hände zum Himmel recken, sondern ein Kind aus »gutem« Hause. Der Vater, alleinerziehend, hat zu wenig Zeit für den Jungen, ist ein schwacher Karrierist in seiner nie beim Namen genannten Partei, der lieber klassische Musik hört, als auf den Mob einzuwirken. Protest gegen die Elterngeneration, besonders repräsentiert durch schwache Väter, führen die Filme immer wieder als Begründung für den Rechtsruck ins Feld.
In Kombat Sechzehn (2005) von Mirko Borscht kommt der junge Georg (Florian Bartholomäi) mit seiner Familie aus Frankfurt am Main nach Frankfurt an der Oder (sic!), weil sein Vater als Architekt ein deutsch-polnisches Einkaufszentrum bauen soll. Daheim am Main musste Georg seine – farbige – Freundin lassen, mit der er auch durch den gemeinsamen Kampfsport Taekwondo verbunden war. Seine Klasse wird von Glatzen beherrscht, die die Lehrerin irgendwie ignoriert, und sein Vater entpuppt sich als schwer gestresst, wenig einfühlsam und zum Brüllen neigend. Und wenn man über ihn und seine zerzausten Haare nachdenkt, kommt man nicht umhin zu vermuten, dass hier ein Vertreter der Studentenbewegungsgeneration auf der Anklagebank sitzt. Am Anfang legt Georg noch einen gewissen Antifa-Habitus an den Tag, aber spätestens als der Mastermind der Glatzen, Thomas (Ludwig Trepte), das auch von Georg geschätzte chinesische Buch »Die Kunst des Krieges« rauf und runter zitiert, beginnen die zarten Bande der Freundschaft. Und als Georg dann noch mitbekommt, dass seine Freundin ihn betrügt, ist es um ihn geschehen, er lässt sich die Haare rasieren. Erst als die Glatzen aus purer Freude einen anderen Jugendlichen zusammenschlagen, wacht Georg auf.
Frankfurt/Oder ist sicherlich eine der hässlichsten Städte dieser Republik. Schon zu Beginn fährt die Kamera an verlassen wirkenden, verfallenen, aus dem realen Sozialismus stammenden Straßenzügen vorbei, und der Film hört nicht auf, sich an den urbanen Brachen dieser Stadt zu weiden. Auch das ist ein Topos des Neonazifilms: die architektonische Trostlosigkeit, das perspektivlose Umfeld. In Wir sind jung. Wir sind stark trifft sich die Gang immer zwischen den endlosen Reihen der Garagen, die früher einmal Trabants und Wartburgs beherrschten. Auch in ausländischen Werken zum Thema wird viel Trostlosigkeit inszeniert. My Dog Killer (2013) von Mira Fornay spielt im Nirgendwo des slowakisch-tschechischen Grenzgebiets, in dem Marek mit seinem Vater lebt. Der Vater baut etwas Wein an, die Mutter hat die beiden vor Jahren verlassen. Fornay beschreibt einen Tag im Leben dieses jungen Mannes, der seinen Pitbull zärtlich »Killer« nennt und mit seinem Moped durch die Ruinen einer untergegangenen Gesellschaft braust. Gänzlich verloren wirkt Marek, irgendwie herausgefallen aus der Gesellschaft und hineingefallen in eine Gemeinschaft der Skinheads, der einzige Ort, an dem für ihn soziale Beziehungen noch zu funktionieren scheinen. Fornay hat ihren Film im flachen Licht des Spätwinters gedreht, das die Farben auf ein Minimum herunterdimmt.
Deutsche Filme sprechen gerne von Motivationen und Beweggründen, My Dog Killer kommt ohne sie aus. Genau wie der australische Romper Stomper (1992), einer der ganz frühen und immer noch verstörenden Filme über die Skinhead-Szene. Der damals noch unbekannte Russell Crowe spielt Hando, den Anführer einer Skinhead-Gang. Romper Stomper wirkt wie eine zwei Jahrzehnte später spielende Fortsetzung von Uhrwerk Orange, eine Orgie der Gewalt in den Suburbs von Melbourne. Der Slogan »Fidschis klatschen« bedeutet hier brutale, grausame Schlägereien, einen von den Skins angezettelten Rassenkrieg, in dem sie selbst irgendwann die Gejagten sein werden. Kein anderer Film hat seitdem die Gewalt so durchexerziert wie Romper Stomper, kein anderer hat so subtil die latente Homosexualität zwischen Angehörigen der Szene – hier sind es Hando und Davey – durchscheinen lassen. Der fiebrige Rhythmus und die Männlichkeitrituale lassen Romper Stomper als einen Vorläufer von Oi! Warning (2000) erscheinen. Dominik und Benjamin Reding erzählen in kraftvollem Schwarz-Weiß eine Coming-out-Geschichte: wie der 17-jährige Janosch vom Bodensee nach Dortmund reist und dort zum Skin wird, in einem Rausch aus Gewalt, Musik und Alkohol – und wie er sich in einen linken Punk verliebt.
Normalerweise stehen in den Filmen junge Männer im Mittelpunkt, obwohl der Anteil aktiver, gewaltbereiter Frauen in der rechtsradikalen Szene zunimmt. In Kriegerin (2011) von David Wnendt, dem bislang vielleicht besten Film zum Thema, steht die junge Marisa (Alina Levshin) im Mittelpunkt, die mit Skingirl-Frisur im Laden ihrer Mutter an der Kasse arbeitet. Zwei junge Afghanen wehrt sie mit den Worten ab: »So was bedien ich hier nicht.« Als ihre Clique die zwei Afghanen am Strand verprügelt und sie die beiden auf der Straße anfährt, hält sie einen von ihnen für tot. Sie glaubt, an dem anderen etwas gutmachen zu müssen, und versteckt ihn. Der Film beschreibt einen inneren Lösungsprozess und das Ausbrechen aus bekannten Mustern. Das durch eine schlichte Menschlichkeit hervorgerufene Zweifeln setzt Wnendt besser um als Armin Völckers in seinem Leroy (2007), in dem sich ein Afrodeutscher in die junge Eva (benannt natürlich nach Eva Braun) mit Nazi-Skinhead-Brüdern verliebt.
Es ist interessant, wie die Filme zum Thema jugendlicher Rechtsradikalismus in den achtziger und neunziger Jahren den erhobenen Zeigefinger provozierten und die von Politikern und Pädagogen gerne diskutierte Frage aufwarfen, was man darf und was nicht. Romper Stomper kam in der Bundesrepublik, wie in vielen Ländern, nur kurz und in einer entschärften Fassung 1993 heraus, noch heute prangt die rote »18« auf dem DVD-Cover. Oi! Warning, der auf vielen Festivals lief, verweigerte die Filmbewertungsstelle ein Prädikat (das doch sonst alle möglichen Grobkomödien bekommen) mit der Begründung: »Der Ausschuss ist sich sicher, dass die pädagogische Wirkung dieses Films vor allem für das jugendliche Zielpublikum sehr zweifelhaft ist.« Und führte als Gegenbeispiel den Junkie-Film Trainspotting ins Feld – darauf muss man erst mal kommen. Die Jury der Evangelischen Filmarbeit hat Oi! Warning dagegen als Film des Monats Oktober 2000 ausgewählt.
Noch heftiger traf es damals allerdings die Dokumentarfilme, die wie mit einem Gefühl des Staunens die rechtsradikale Szene beobachteten. Thomas Heises Stau – jetzt geht’s los (1993) wurde nicht nur ebenfalls das Prädikat verweigert, es kam auch bei vielen Vorführungen zu Protesten Autonomer. Heise war nach Halle/Neustadt gefahren und hatte das Vertrauen von sechs rechtsradikalen Jugendlichen gewonnen. Er verwebt banale Alltagsszenen mit spektakuläreren Fahrten ins KZ Buchenwald oder auf den Kyffhäuser. Er attackiert seine Hauptfiguren, alles Männer, nicht, sondern bringt sie zum Sprechen. Man merkt ihnen schon damals eine gewisse Ostalgie an (»Die FDJ war ein durchdachtes System, die Menschen glücklich zu machen und zu erhalten«); sie erzählen von Arbeitslosigkeit und dem trostlosen Gefühl des Alleinseins. Man spürt ihre Suche nach Orientierung – und irgendwie faszinierend wirken sie nicht.
Bei Filmen wie Stau wurde damals immer wieder der einordnende Kommentar vermisst – der Film erschöpfe sich in der »Abbildung der Darsteller«, hieß es in der Ablehnung der FBW. Das Vertrauen auf einen mündigen Zuschauer hatte sich in dieser Zeit allerdings schon längst bei den Dokumentarfilmern durchgesetzt. Ganz unvoreingenommen hat Claas Danielsen, der spätere Leiter des Dokumentarfilmfestivals von Leipzig, in seinem mittellangen Dokumentarfilm Im Grenzgebiet (1993) ostdeutsche Jugendliche beobachtet, die sich in einem ehemaligen Vopo-Häuschen in Mecklenburg-Vorpommern treffen. Sie fühlen sich allein gelassen, hassen Ausländer, begreifen sich aber nicht als Neonazis.
Auch Winfried Bonengel verzichtete in Beruf Neonazi, dem wahrscheinlich größten Dokumentarfilmskandal der bundesrepublikanischen Geschichte, auf einen einordnenden Text. Er porträtiert einen Neonazi, der einem Mittelschichtelternhaus entstammt und die Waldorf-Schule besuchte. Die gängige Faschismustheorie von den sozial depravierten und Leitbildern beraubten Jugendlichen funktioniert bei Bela Ewald Althans nicht. Bonengel folgt Althans bei seinen Aktivitäten: zu dem Holocaust-Leugner Ernst Zündel nach Toronto, als Manager des Faschohistorikers David Irving, als Organisator einer nationalsozialistischen Kadergruppe in München, als Tourist und Provokateur in Auschwitz. Sicher ist die Nähe des Regisseurs zu seinem Protagonisten eine Gratwanderung. Aber gerade durch diese Nähe versucht der Film die Dekonstruktion seiner Hauptfigur, zeigt er den menschenverachtenden Zynismus, die Arroganz. Zwei Mal wurde Beruf Neonazi von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, die Politik forderte eine »unzweideutige Kommentierung«. Man konnte sich damals des Verdachts nicht erwehren, dass es für die Politiker einfacher war, gegen einen Film über Rechtsradikale vorzugehen als gegen diese selbst. In die Kinos kam der – mit einem Vorspann versehene – Film nur durch eine Kinotour, die der rührige Verleih Unidoc durch 26 Städte organisierte; die Vorführungen wurden begleitet von dem jüdischen Historiker Raymond Wolff.
Begonnen wurde Beruf Neonazi übrigens im Dezember 1991. Das Projekt mit dem Arbeitstitel »Warten auf den Führer« sollte sich eigentlich um den Neonazi Ingo Hasselbach drehen, später erst wurde es auf Althans erweitert und vor allem um die internationalen Beziehungen, die mit ihm verknüpft waren. Während der Dreharbeiten Ende 1992, so die Auskunft der Produktionsfirma, ist Hasselbach aus der rechtsradikalen Szene ausgestiegen, so dass nichts anderes übrig blieb, als sich auf Althans zu konzentrieren. Die Hasselbach-Geschichte verarbeitete Bonengel in seinem Spielfilm Führer Ex (2002), der allzu schematisch eine exemplarische Biografie von der DDR in den Rechtsradikalismus beschrieb.
Beruf Neonazi wurde später zu einem Beweismittel. Ende August 1995 verurteilte das Berliner Landgericht Bela Ewald Althans wegen Volksverhetzung sowie Verunglimpfung des Staates und des Andenkens Verstorbener zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren – weit mehr, als die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Das Gericht stützte sein Urteil auf Althans’ Aussagen in diesem Film. Heute behauptet Althans, die Auschwitz-Tour auf Betreiben des Regisseurs unternommen zu haben. In Rosa von Praunheims Männer, Helden, schwule Nazis (2005) taucht Althans noch einmal auf; er organisierte damals schwule Partys. Praunheim ging der Frage der Homosexualität unter Rechtsradikalen nach – und dem Widerspruch, dass Schwule einer Minderheit angehören, die von den Nazis selbst verfolgt wurden. »Ich wollte mich auf die Menschen einlassen und herausfinden, wie die mit diesem Widerspruch leben«, sagte Praunheim über seinen Film. Der kam im Übrigen auch nicht in die Kinos.
Der Film »Wir sind jung. Wir sind stark« startet am 22. Januar in den deutschen Kinos
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