Nahaufnahme von Robert Gwisdek

Immer unterwegs
Robert Gwisdek in »Sterben« (2024). ©  Jakub Bejnarowicz / Port au Prince / Schwarzweiss / Senator

Robert Gwisdek in »Sterben« (2024). © Jakub Bejnarowicz / Port au Prince / Schwarzweiss / Senator

Als Rapper Käptn Peng hat er eine enthusiastische Fangemeinde. Als Schauspieler überzeugt er durch gekonntes Underplaying. Jetzt kommt die erste Regiearbeit von Robert Gwisdek ins Kino

»Hallo zusammen. Wir sind Admiral Puff und die Furunkel von Lesbos«, stellt Käptn Peng sich und seine Band Die Tentakel von Delphi selbstironisch bei einem Konzert auf dem Taubertal-Festival 2018 vor. Dieser Moment bringt den trockenen Humor und die Lakonie auf den Punkt, die in allem durchscheinen, was Robert Gwisdek künstlerisch anpackt. Wenn der schlaksige Mann mit den Flausen auf und im Kopf rappt, wenn er auf der Theaterbühne, vor oder neuerdings auch hinter der Kamera steht: Etwas Düsteres, Melancholisches und ein Hauch von Ironie schwingen mit. Trotz der bis ins Unsympathische gesteigerten Direktheit bewahren sich seine Filmfiguren etwas Rätselhaftes, Undurchschaubares. Ist es Selbstschutz? Oder die Ahnung, dass das, was in den Synapsen rauscht, tobt und messerscharf urteilt, der Umwelt nicht zugemutet werden kann? 

Perfektioniert hat Gwisdek diese Ausstrahlung zuletzt in Matthias Glasners »Sterben«. Als depressiver Komponist Bernard, mit Halbglatze und Pferdeschwanz, terrorisiert er alle und jeden mit Wutausbrüchen und wüsten Beschimpfungen. Seinen besten Freund Tom (Lars Eidinger), der sein Opus magnum dirigieren soll. Sein bemühtes ­Orchester oder die Cellistin, mit der er eine Affäre hat. Die Kombination aus Größenwahn, Selbstzweifeln und Perfektionismus gelingt Gwisdek scheinbar mühelos, für seine Verhältnisse ist die Performance in »Sterben« aber expressiv. Overacting ist nicht sein Ding. Er hat es nicht nötig, seine unauffällige Erscheinung und das wenig markante Gesicht mit Übertreibung zu kompensieren. Auch die tragischen Rollen, die ihn von Anfang an begleiten, spielt er zugleich subtil und wirkungsvoll 

Als Sohn von Corinna Harfouch und Michael Gwisdek 1984 in Ostberlin geboren, verbringt er seine Kindheit auf Theaterbühnen und an Filmsets statt in Sandkästen und auf Spielplätzen. Als Fünfjähriger steht er in »Treffen in Travers«, dem Regiedebüt seines Vaters, als Dorfjunge vor der Kamera. Die erste Hauptrolle spielt er 1999 in Anno Sauls Coming-of-Age-Film »Grüne Wüste«, neben den Stars Heino Ferch, Ulrich Noethen und Martina Gedeck. Zu Beginn wirkt er als gerade noch präpubertärer Johann wie das Mitglied einer typischen Boyband der Dekade. Zwischen ihm und seiner Freundin Katja (Tatjana Trieb) knistert es, der Wald ist ihr Abenteuerspielplatz, hier passiert der erste Kuss. Dann erkrankt Johann an Leukämie. Er wird schwächer, durch die Chemotherapie fallen ihm die Haare aus. Die meiste Zeit des Films liegt er kraftlos im Krankenbett. Aber in seinem praktisch über Nacht, durch die Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit erwachsen gewordenen Gesicht spiegeln sich erstmals der Schmerz und der Galgenhumor, die für Gwisdek typisch sind. Im trotzig seine erste und letzte Liebe abweisenden Krebspatienten ist rückblickend schon der suizidale Bernard aus »Sterben« angelegt. 

Gwisdek bricht später die reguläre Schule ab, weil er »ein bisschen dumm« sei und sein Hirn sich weigere, sich Dinge zu merken, für die er keine Leidenschaft empfinde, wie er in der Sendung »Streetphilosophy« erklärt. Statt sich auf den Namen und Ruhm seiner Eltern zu verlassen, studiert er von 2002 bis 2006 Schauspiel an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf, tritt währenddessen unter anderem in Leander Haußmanns »NVA« auf. Nach seinem Abschluss an der HFF nimmt er sich eine Auszeit und geht für sieben Monate nach Indien, bevor er schauspielerisch durchstartet. 2008 erhält er den damals noch Günter-Strack-Fernsehpreis genannten Schauspielpreis für »Väter, denn sie wissen nicht, was sich tut«. 2009 stiehlt er als Mathematikstudent und ätzender Streber in der Komödie »13 Semester« Max Riemelt die besten Pointen.

»13 Semester« (2009). © 20th Century Fox

Ernst wird es mit der Rolle des im Rollstuhl sitzenden Ben in Dietrich Brüggemanns »Renn, wenn Du kannst«. In der Dreicksgeschichte, die Ben, seinen Zivi Christian und Cellistin Annika in einer wilden Tour durchs Ruhrgebiet treibt, überflügelt Gwisdek seine Co-Stars Jacob Matschenz und Anna Brüggemann. Aus heutiger Sicht hätte diese Rolle einem Schauspieler mit Behinderung zugestanden. Allerdings spielt Gwisdek diesen traumatisierten, zynischen und schlagfertigen Typen so gut, dass erst am Ende auffällt, wie routiniert er mit dem Rollstuhl umgegangen ist. Richtig fies agiert er danach als Reporter Michael Jürgs in Emily Atefs »3 Tage in Quiberon«. So biestig, penetrant und berechnend rückt er Romy Schneider (Marie Bäumer) auf die Pelle, dass er Ohrfeigen verdient, aber auch den Deutschen Filmpreis 2018 erhält. Für seine Darstellung des unehelichen Sohns von Sebastian Koch und Katja Riemann in »Das Wochenende« war er schon 2013 nominiert gewesen, ging da aber leer aus gegen seinen ebenfalls nominierten Vater, der den Preis für »Oh Boy« gewann. 

Wo viele Kinder prominenter Eltern unter enormem Selbstfindungsdruck stehen, zieht Gwisdek sein Ding scheinbar gelassen durch und bleibt seiner Familie dennoch eng verbunden. Mit Mutter und Vater steht er mehrfach vor der Kamera. So tragisch bindungsunfähig und eremitisch, wie seine Figuren sind, wirkt Gwisdek im echten Leben also nicht. 2012 gründet er mit seinem älteren Halbbruder Johannes das Projekt Shaban ft. Käptn Peng. »Die Zähmung der Hydra« bleibt ihr einziges, aber vielbeachtetes Hip-Hop-Album. Shaban bleibt auch dabei, als Die Tentakel von Delphi dazustoßen und ihr eigenes Label Kreismusik an den Start geht. Als Frontmann, Texter und Komponist Käptn Peng wirkt Gwisdek ganz anders als in seinen Filmrollen. Witzig-dadaistisch bis nachdenklich philosophisch rappt er sich durch zwei Alben und Songs wie »Sockosophie« oder »Backpfeifenernte auf dem Alphabeet« und meistert seine komplizierten Reime in einem beachtlich schnellen und melodischen Flow. Er wirbelt energetisch über die Stage, taktsicher und mitreißend. In dieser Phase wird auch sein Debütroman »Der unsichtbare Apfel« bei Kiepenheuer und Witsch veröffentlicht. Mit gerade mal 30 Jahren ist Gwisdek ein erfolgreicher Schauspieler, Musiker und Autor. 

»3 Tage in Quiberon« (2018). © Prokino

Im Roman, in seinen Rollen und Songtexten klingt an, dass Gwisdek die großen Fragen nach unser aller Existenz, dem Universum und dem ganzen Rest umtreiben. Glücklicherweise kommt das bei allem Tiefgang nie abgehoben oder gekünstelt daher. Bevor das passiert, sagt er Sätze wie diesen in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung am 10. April 2014: »Ich würde gerne verstehen, warum das Universum existiert. Außerdem habe ich noch Triebe wie Hunger, Lust, Gier, Angst und Liebe. Die bringen einen auch dazu, sich zu bewegen.« 

Stillstand kennt er tatsächlich nicht. 2022 gründet er gemeinsam mit seiner Partnerin Marie Höflich die Filmproduktion Kreisfilm. Auf der Website steht statt des üblichen Branchensprechs unter der Ru­brik »Über uns« ein typischer Gwisdek-Text. Sinngemäß heißt es dort: Niemand hätte Zeit, aufzuschreiben oder zu lesen, warum Kreisfilm der neueste heiße Scheiß sei. Stattdessen solle man sich lieber ein paar Showreels oder Clips auf der Seite anschauen oder besser direkt über Wichtigeres reden. Zum Beispiel über den Cuvier-Schnabelwal, der mit einem Atemzug 3000 Meter tief tauchen und drei Stunden lang die Luft anhalten könne. 

Mit Kreisfilm hat Gwisdek Kurzfilme und Musikvideos (zwei Over-the-Top-Musik­clips für Rammstein) realisiert. Ende Januar 2024 hat er seinen 40. Geburtstag gefeiert und schlägt mit seinem Spielfilmdebüt ­»Der Junge­, dem die Welt gehört« ein neues Kapitel als Langfilmregisseur auf. Julian Vincenzo, besser bekannt als der Schweizer Singer-Songwriter Faber, spielt hier eine Art Alter Ego von Gwisdek: einen Musiker auf der Suche nach der wahren Poesie, der den Gesprächen der Welt immerzu lauscht – und deswegen kein einziges Wort versteht. Ein hoch symbolischer, beinah tiefenpsychologischer Film mit einer feinen Prise Quatsch. Käptn Peng und die Tentakel von Delphi – ­die auch die Filmmusik besorgt haben – würden dazu rappen: »Das Ende stirbt, der Anfang ist nah.«

Meinung zum Thema

Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns

Mit dieser Frage versuchen wir sicherzustellen, dass kein Computer dieses Formular abschickt