Baustelle Filmkultur: Kino in den arabischen Ländern
»Theeb« (2014) Foto: Laith Al-Majali
Die Filmszene in den arabischen Ländern ist im Aufbruch. Während in Dubai die Stars anlanden, wird in Kairo Arthouse-Kino gepflegt
Im Flieger esse ich mit Besteck aus Metall, das kenne ich nur noch von arabischen Fluglinien. Noch vor dem Start kommt bei der Egypt Air ein melodisches Gebet mit Moscheebild über die Monitore. Ich bin auf dem Weg nach Kairo, zum »Panorama des europäischen Films«. In den Reden zur Eröffnung der achten Ausgabe wird gesagt, es sei ein Ziel, das täglich von den Medien eindimensional und negativ gezeichnete Bild über Europa und die Europäer zu verbessern. Ich muss schmunzeln und an die immer gleiche Frage denken, die ich seit vier Jahren von Bekannten und Kollegen gestellt bekomme, wenn ich erzähle, dass ich im Zusammenhang mit meiner Arbeit für den Filmförderpreis der Robert Bosch Stiftung häufiger in die arabische Welt reise – bislang nach Jordanien, Marokko, Ägypten und in die Vereinigten Arabischen Emirate. »Wie ist das so, gerade als Frau...?« Meistens so wie in Deutschland auch. Es ist nicht nötig, mich zu verschleiern, und die CDU-Politikerin Klöckner kann ich beruhigen: Der Kulturaustausch scheitert nicht schon am Händeschütteln. Von vielen befreundeten Regisseuren verabschiede ich mich mit Küsschen. Mit Reiseanekdoten zum Thema »Unterdrückte Frau« kann ich also kaum dienen – der junge Mann in Dubai, der mich auf der Rolltreppe aus Versehen anrempelte und sich dafür bei meinem Kollegen entschuldigte, bleibt die Ausnahme. Mittlerweile überraschen mich die sehr munteren, verschleierten Frauen nicht mehr, die eloquent mehrsprachig Filmgespräche moderieren. Zumindest diese Schublade ist bei mir aufgegangen. Zugleich stöckeln beim Filmfestival in Dubai aber auch extrem leicht bekleidete und herausgeputzte Frauen auf den höchsten Absätzen der Welt über den roten Teppich, und dieses Nebeneinander ist doch immer wieder irritierend.
Eine komplizierte Gemengelage
Am Golf ist sowieso noch mal alles anders und vieles überraschend. Filmfestivals – wie die von Doha und Abu Dhabi oder auch das kleinere Golf-Filmfestival – kommen und gehen oder verändern manchmal sehr plötzlich ihr Gesicht. So wurde die Dubai Film Connection, der Koproduktionsmarkt in Dubai, 2014 kurzfristig eingestellt, war aber 2015 erneut Teil des wichtigsten Filmfestivals der gesamten Region (bei dem auch viele Stars der westlichen Welt zugegen sind).
Noch einmal in Sachen Vielfalt beim Frauenbild: Auf der Facebook-Seite einer jungen ägyptischen Animationsregisseurin lese ich, dass sie es satt hat, ihre individuelle Entscheidung für den Schleier ständig gegen ihre – arabischen! – Peers verteidigen zu müssen. Mit einer anderen Filmemacherin aus Ägypten diskutiere ich über Feminismus und Transgender. Sie hat die deutlich radikalere Position.
Für jemanden, der nicht Islamwissenschaften studiert hat, verstärkt sich bei jeder Reise eine ebenso wichtige wie im Kern banale Erkenntnis: Es wird umso komplexer, je näher man hinschaut. Die arabische Welt (damit werden im allgemeinen Länder bezeichnet, in denen arabisch gesprochen wird, in denen die vorherrschende Religion der Islam ist und die zur Arabischen Liga gehören) ist, so sagen die, die es wissen müssen, vielgestaltiger als Europa. Die Medien in Deutschland erzählen darüber wenig, bleiben gerne bei der Perspektive der Selbstvergewisserung stehen, dass wir doch irgendwie zivilisierter sind. Meine Frisörin fragt mich: Wann fährst du wieder zu den »Arabern«? Ich antworte ihr, dass es Finnen und Portugiesen gibt. Bei meiner Buchhändlerin hängt unter dem Titel »Arabischer Frühling« ein Roman aus dem Iran im Schaufenster. Die arabische Region ist für viele Deutsche eine Terra incognita, und die ständige Präsenz des IS in all unseren Medien verschärft das Problem und schürt die Islamophobie.
Es gibt eine Arthouse Kinoszene
In Beirut gibt es seit einem Jahrzehnt ein Arthouse-Kino, das erste in der arabischen Welt, benannt nach einem deutschen Stummfilm und betrieben von höchst kundigen Enthusiasten: das »Metropolis«, ausgestattet mit zwei Sälen für je 270 Personen. Während eine Leinwand vor allem Festivals vorbehalten ist (aus Filmvorführungen ein soziales Event zu machen, ist laut der Leiterin Hania Mroué eines der wichtigsten Kriterien für den anhaltenden Erfolg beim libanesischen Publikum), stehen im anderen Saal regelmäßig Kinostarts von arabischen Autorenfilmen an. Diese Filme waren sonst häufig nur auf Festivals und danach vielleicht noch im Fernsehen zu sehen. Den Verleihern gehören in der arabischen Welt a*uch die Kinos, gezeigt werden dort kommerzielle Filme aus Ägypten, USA und Indien. An die gewünschten arabischen Filme zu kommen, stellte anfangs eine zeitaufwendige Herausforderung dar. So gründeten Hania Mroué und ihre Kollegen kurzerhand einen Verleih.
Seit einigen Jahren hat sich das »Metropolis« mit anderen unabhängigen Arthouse-Kinos, gut organisierten Cine-Clubs (ein verbreitetes Phänomen vor allem im Maghreb) und anderen kulturellen Institutionen, die Filme zeigen, zu einem »Network of Arab Arthouse Screens« (NAAS) zusammengeschlossen. Das gemeinsame Ziel ist es, die Film- und Kinokultur in der arabischen Welt weiter zu entwickeln und Orte für Diskussion zu schaffen, an denen herausragende lokale, regionale und internationale Filmproduktionen gezeigt werden. Erfahrungen aus der täglichen Programmarbeit sollen geteilt, Einzelkämpfertum und Isolation vermieden werden. Durch den Zusammenschluss zu einer »virtuellen« Kette von Leinwänden wird auch die Position beim Verhandeln um Filmrechte und Verleih gestärkt.
»So vielfältig wie möglich«, antwortet der junge Leiter des Kinos »Zawya«, Youssef El Shazli, als er bei einem Panel nach den Grundsätzen des Programms befragt wird. Seit knapp zwei Jahren hat das Kino in der Kairoer Innenstadt nun seine Tore (genauer gesagt: einen Saal innerhalb eines kommerziellen Kinos) geöffnet und schreibt eine schöne Erfolgsgeschichte. Eröffnet wurde im März 2014 mit einem Film, der auch bei uns zu sehen war, weil er in Koproduktion mit Razor Film, Berlin, entstanden ist: »Wadjda« von Haifaa Al Mansour (Saudi Arabien/Deutschland 2012). Die Regisseurin kommt aus Saudi Arabien, erhielt ihre Ausbildung aber, wie viele Filmschaffende der Region, im Ausland, an der Filmhochschule in Sydney. Der Film handelt von einem Mädchen, das in Riad aufwächst und dessen sehnlichster Wunsch es ist, ein Fahrrad zu besitzen und damit den Nachbarsjungen in einem Rennen zu schlagen.
Ein sehr junges, gemischtes Publikum liebt es, ins Kino zu gehen und vor allem: dort Alternativen zu den Blockbustern vorzufinden. Nach dem Vorbild des »Metropolis« werden auch im »Zawya« arabische Autorenfilme, die zuvor so gut wie nicht in der Region zirkulierten, im eigenen Kino gestartet und vier Mal am Tag gezeigt. Wobei ein nach arabischen Maßstäben alternatives Kino auch mal wie ein europäischer Mainstreamfilm daherkommen kann, die Begrifflichkeiten sind nicht ohne weiteres übertragbar. Mittlerweile hat das »Zawya« Partner in Alexandria und Tanta, die ebenfalls Arthouse-Kinos betreiben und diese Filme nachspielen – so ist auch hier eine neue Form von Vertrieb entstanden. Youssef El Shazli ist der Sohn von Marianne Khoury, ihrerseits Nichte des großen Youssef Chahine, Präsidentin des Panoramas für europäischen Film, Gründerin von »Zawya«, umtriebige Cinephile und das Herz der Firma Misr International Films. Wie Hania Mroué im Libanon setzt auch sie auf Filmvermittlungsangebote für Kinder, Jugendliche, Schulklassen und Universitäten, um sukzessive ein cinephiles Publikum aufzubauen.
Plözlich verhaftet
Die Lage in Ägypten ist angespannt, in letzter Zeit gibt es überfallartige Untersuchungen durch Polizeikommandos in Kinos und auch bei unabhängigen Produktionsfirmen. Es kursieren Geschichten wie diese: Mit fadenscheinigen Begründungen wird ein Regisseur mitgenommen, weil er die Festplatte, auf der sein Film, an dem er seit Jahren arbeitet, gespeichert ist, nicht herausgeben will. Nach sechs Stunden wird er wieder freigelassen, er ist verhältnismäßig glimpflich davongekommen, keine körperlichen Versehrungen, seinen Film hat er noch. Alle nötigen Bescheinigungen der Zensurbehörde hatte er parat, damit konnte er die Verhaftung aber nicht verhindern.
Eine Dokumentarfilmregisseurin erzählt mir, dass ihr von heute auf morgen der Zugang zu ihrem Hauptschauplatz verwehrt wurde, denn ihr Film erzähle keine Erfolgsstory und sei daher nicht erwünscht. Staat und Polizei vermuteten, unabhängige Filmemacher und Initiativen hätten etwas mit dem Volksaufstand zu tun und müssten daher streng kontrolliert werden, damit es nicht plötzlich wieder losgehe, erzählt mir ein anderer junger Produzent. »Und sie haben nicht ganz unrecht«, lacht er, mit dem hier üblichen Galgenhumor. Dass die selbst daran Beteiligten nicht von »Revolution« sprechen, lernt man hier schnell.
Eine Koproduktion mit Schweden wird plötzlich gestoppt – die schwedische Filmcrew war schon angereist, nun verlasse sie besser schnell das Land, wird ihr nahegelegt, denn alle ihre Schritte werden überwacht. Der Staat hat die Befürchtung, das Team wolle auch ohne Erlaubnis drehen. Die Story handelt von Korruption, und das darf nicht sein. Der arabische Produzent ist verzweifelt, er hat seit Monaten Arbeit und Geld investiert, die Zensurbehörde hatte das Drehbuch genehmigt. »Noch einmal bin ich nicht so naiv«, sagt er.
Alle, mit denen wir diesmal in Kairo sprechen, überlegen, das Land zu verlassen, sehen keine Perspektive, und fürchten die staatliche Willkür, die ein kreatives Arbeiten zwar nicht unmöglich, aber doch sehr gefährlich macht. Und dennoch resignieren sie nicht, sprechen mit Verve und schier unendlicher Energie auch spät nachts noch über die Notwendigkeit von capacity building, stellen immer wieder ihre persönlichen kreativen Projekte zurück, um stattdessen Aufbauarbeit für ihre Gesellschaft zu leisten. Sie sind willens, Aufgaben zu schultern, die ihre Regierungen nicht übernehmen. Sei es die Ausbildung von jungen unabhängigen Produzenten, der Aufbau eines Publikums für unabhängiges Autorenkino oder auch die Gründung von privat geführten Kinematheken (wie der bewundernswerten »Cinémathèque« in Kairo). Staatliche Filmarchive existieren zwar, liegen aber brach oder verweigern beispielsweise Regisseuren auf der Suche nach Archivmaterial für neue Projekte den Zugang.
Schickt Hollywood in die Wüste!
Das arabische Land, das die meisten westlichen Zuschauer schon auf der Leinwand gesehen haben, ist vermutlich Jordanien. Von »Lawrence von Arabien « (GB 1962) bis zum »Marsianer« (USA 2015) diente vor allem das magische Wadi Rum als Filmkulisse – wahlweise wirklich als Wüste, als Mond- oder Marslandschaft oder auch mal als Afghanistan. Neben Ridley Scott, der mehrfach hier drehte, waren Kathryn Bigelow, Steven Spielberg und Werner Herzog (»Queen of the Desert«, USA 2015) bei Dreharbeiten vor Ort. Neben der einmaligen Landschaft tragen die verhältnismäßig hohe Stabilität im haschemitischen Königreich und der dezidierte Wille des Königshauses, Filmindustrie anzulocken, dazu bei.
Die Royal Film Commission mit ihrem in Amerika ausgebildeten und gut vernetzten General Manager George David tut ein Übriges. So entstanden in den letzten fünf Jahren jährlich um die zehn lange Spielfilme in Jordanien. Zuletzt war das Land Schauplatz für »Yar Tay El Tayer« (The Idol), der vom rasanten Aufstieg des Sängers Mohammed Assaf aus dem Gazastreifen erzählt. Der – immer wieder im Ausland lebende – palästinensische Regisseur Hany Abu-Assad gehört zu den prominentesten Filmschaffenden aus der Region. Mit »Paradise Now« ist er im Westen bekannt geworden, sein letzter Film »Omar«, eine komplizierte Story über Liebe und Verrat unter israelischer Besatzung, war für ihn die zweite Nominierung für einen Academy Award.
Die Royal Film Commission hat sich auch das Training junger Filmschaffender und die Förderung der Kinokultur auf ihre Fahnen geschrieben. Ihr Film House in Amman umfasst neben einer Biblio- und Videothek ein Filmcafé und Schneideplätze. Im Open-Air-Kino finden vor der Kulisse Ammans zahlreiche Filmvorführungen statt. Mit seinem Debütfilm »Theeb« gewann der jordanische Regisseur Naji Abu Nowar 2014 den Preis für die beste Regie in Venedig. Die Geschichte um einen Beduinenjungen wurde vor allem mit privaten Geldern finanziert; der Filmfonds des Landes wurde eingefroren.
Wo es mit staatlicher Filmförderung nicht weit her ist, müssen die Filmemacher der Region sich vor allem auf Unterstützung durch diverse Förderprogramme aus dem Golf (wie ENJAAZ und SANAD aus Dubai/Abu Dhabi oder vom Doha Filminstitut) sowie auf den Arab Fund for Arts and Culture verlassen oder eben koproduzieren. Am ästhetisch spannendsten ist zurzeit vielleicht der arabische Animationsfilm – nicht zufällig hat Eli Dagher mit »Moug ’98« (Waves ’98, Libanon/Qatar 2015) in Cannes im vergangenen Jahr den Kurzfilmwettbewerb gewonnen. Dagher findet überzeugende Bilder für den erdrückenden Stillstand in seinem Land. Auch auf weitere Filme von Talenten aus Syrien wie Jalal Maghout (mit »Suleima«, der das Grauen der politischen Verfolgung in Syrien schildert, im Wettbewerb in Stuttgart und Leipzig vertreten) darf man gespannt sein.
Im Gegensatz zu dem hier im Westen verbreiteten Bild, wie dominierend die Religion in der arabischen Welt sei, kann ich nur sagen: In der unabhängigen Film-, Festival- und Kinoszene, in der ich mich bewege, spielt das Thema keine größere oder kleinere Rolle als bei meinen deutschen Kolleginnen und Kollegen. Der Glaube, den wir alle teilen, ist der an die Kraft des Kinos.
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