Interview: Jacques Audiard über »Wo in Paris die Sonne aufgeht«
© Neue Visionen Filmverleih
Monsieur Audiard, in unseren früheren Interviews haben wir viel über Körper und Sprache geredet – über Körper in »Der Geschmack von Rost und Knochen«, über Sprache in »Dheepan«, weil Sie damals ja mit Darstellern gearbeitet haben, die eine Sprache (Tagalog) sprachen, die Sie selber nicht beherrschten. Daran erinnerte ich mich wieder bei Ihrem neuen Film, es sind Themen, die sich durch Ihre Filme hindurchziehen.
Dem kann ich zunächst nur zustimmen. Aber das ist eigentlich schon eine Definition des Kinos an sich: was ist das Verhältnis zwischen Sprache und Körper? Da könnte man dann noch den Raum hinzufügen. Was da vielleicht eine Verbindung schafft (weshalb ich es gerne hinzufügen möchte), ist die Erotisierung.
Auch dieser Film hat eine große Körperlichkeit. Haben Sie ihn auch von diesen körperbetonten Szenen her entwickelt?
Mir war bei diesem Projekt klar, dass es sehr wortlastig sein würde, dass aber auch Körper eine bedeutende Rolle spielen würden. Ich zitiere jetzt einmal Truffaut (der bei diesem Zitat aber auch häufig missverstanden wurde). Sinngemäß hat er einmal gesagt, man dreht einen Film immer gegen den vorhergegangenen. Lassen Sie mich das für diesen Film präzisieren: als ich »The Sisters Brothers« gemacht habe, habe ich bestimmte Sachen ausgeschlossen: Frauen, Zärtlichkeit, Liebe. »Wo in Paris die Sonne aufgeht« ist ein Film, der gegen »The Sisters Brothers« gedreht wurde – so macht man auch Kino: gegen den Film davor. Es gab aber einen langgehegten Wunsch, den ich in mir trug: einen Film über den Liebesdiskurs zu drehen, Das Modell, das dahinter stand, war Eric Rohmers »Meine Nacht bei Maud«, den ich gesehen habe, als ich 15 Jahre alt war.
Finden sich die expliziten Sexszenen, die es in diesem Film gibt, auch in der graphic novel, die die Vorlage bildete – oder haben Sie und Ihre Co-Autorinnen sie hinzugefügt?
In den beiden Comics von Adrian Tomine spielt das meiner Erinnerung nach nicht so eine große Rolle. Ich wollte aber, wenn schon viel geredet wird, auch etwas anderes zeigen. In dem großen Modell, dem Film von Rohmer, ist es ja so, dass der Liebesdiskurs nur über die Sprache stattfindet, er zwar ein Stück weit erotisiert wird, aber am Ende die beiden gar nicht mehr das Bedürfnis haben, miteinander zu schlafen. Rohmer hatte dabei Romane des 18.Jahrhunderts im Kopf – ich aber wollte wissen, wie sieht der Liebesdiskurs heute aus und in welchem Verhältnis steht das zur Erotik? Weil damals schon die Sprache erotisch sein konnte. Bei der Frage, wie sieht das heute aus, ist klar, dass die Körperlichkeit zuerst kommt. Für mich ist dieser Film eine Komödie. In Komödien geht es ja nur selten um Sex, er wird nicht gezeigt, mehr an den Rand gedrückt. Für mich war das aber ein wesentlicher Bestandteil, die Sexszenen. Aber dass es bei einer Figur wie Nora auch noch um die Probleme mit ihrem Orgasmus geht, hat auch etwas Humoristisches – ich wünschte, ich wäre dabei noch weiter gegangen.
Das angeblich chinesische Sprichwort »Erst vögeln, dann mal schauen« haben Sie Sich selber ausgedacht?
Das ist vollkommen meine eigene Erfindung.
Als Co-Autorinnen hatten sie zwei inzwischen auch als Regisseurinnen erfolgreiche Frauen. Wie haben Sie mit denen zusammengearbeitet? Saßen Sie alle Drei zusammen oder haben Sie unterschiedliche Fassungen geschrieben?
Ich wollte mit einem neuen Autoren zusammenarbeiten und dachte mir dann, es sei besser, hier mit einer Autorin zusammen zu arbeiten, weil ich die meisten Filme bisher zusammen mit Thomas Bidegan zusammen geschrieben habe. Ich bin zunächst auf Céline Sciamma zugegangen, bei der ich gar nicht wusste, ob sie überhaupt Zeit hätte, weil sie gerade zwischen zwei Filmdrehs stand. Wir haben dann zwei Adaptionen von diesen Comics zusammen geschrieben, zwischendurch habe ich etwas anderes gemacht, wenn ich mich recht erinnere, war das für die französische Fernsehserie »Büro der Legenden«. Als ich dann wieder Zeit für dieses Projekt hatte, war Céline Sciamma nicht mehr verfügbar, zudem hatte ich auch Zweifel an dem, was wir zusammen geschrieben hatten, war mir auch unsicher, ob ich nicht zuerst ein anderes Projekt realisieren wollte. Also begab ich mich auf die Suche nach einer neuen Autorin und stellte dann fest, dass auch Lea Mysius Regisseurin war. Ich bin immer vorsichtig mit Begriffen wie 'der weibliche Blick', hatte aber doch eine gewisse Neugier, wie eine Autorin auf diese weibliche Figur blickt und es passte eben auch ganz gut. Der Film, den man jetzt sieht, ist eher das Drehbuch, das ich zusammen mit Lea geschrieben habe. Während ich mit Céline eher die Comics adaptiert habe, habe ich mit Léa eher das erste Drehbuch adaptiert. Aber mit Céline zusammen habe ich mir diese drei Kurzgeschichten ausgesucht.
Ihr langjähriger Co-Autor Thomas Bidegan ist im Nachspann ebenfalls genannt. Haben Sie versucht am Anfang mit ihm zu schreiben, oder hat er ganz am Ende noch mal einen Blick darauf geworfen?
Ganz egal, welche Rolle Thomas bei meinen Filmen spielt: er ist immer derjenige, den ich bitte, sich die Muster anzuschauen und mir dazu ein Feedback zu geben. Ich weiß bei ihm immer weniger, welche künstlerische Position ich ihm zuschreiben soll – künstlerischer Berater vielleicht? Er ist gewissermaßen wie ein Schweizer Taschenmesser, universell verwendbar.
Es gibt eine schöne, besondere Szene: die Taiwanesin hat das Lokal, wo sie kellnert, kurz verlassen für eine schnelle sexuelle Begegnung, arrangiert durch ihre App. Als sie zurückkommt, tanzt sie in Zeitlupe und die Gäste applaudieren.
Im Drehbuch stand, sie kommt zurück und setzt ihre Arbeit fort. Wir haben das so gedreht, aber plötzlich fand ich es langweilig. Ich habe dann zu der Schauspielerin gesagt, »Du kommst jetzt rein und tanzt!« Das hat sie so gut gemacht, dass ich davon nur zwei Takes brauchte. Die Statisten in der Szene haben spontan applaudiert, ich habe in dem Moment nicht darauf geachtet, ihnen das zu untersagen, so ist diese spontan entstandene Szene genauso im Film drin geblieben. Wenn man genauer hinsieht, merkt man, dass sie etwas Verträumtes hat – ja, in gewisser Weise ist das eine Fantasie.
Was können Sie dem Zuschauer über dieses Viertel, Les Olympiades, erzählen? Man kennt aus Paris-Filmen ja eher die Wahrzeichen der Stadt in der Innenstadt oder aber die Wohnblocks der Banlieus. Ist dies ein Viertel, in dem eher Besserverdienende wohnen oder aber eins, auf das die Leute im Zentrum hinabblicken?
Es ist ein sehr populäres Viertel, eines, das sehr gemischt ist, auch ethnisch, das sich zudem stark verändert hat. Es wird oft als Chinatown bezeichnet, weil es das erste Viertel in Paris war, wo es eine Ansiedlung von chinesischstämmigen Emigranten gab. Aber es ist auch ein Viertel mit zwei Universitäten, ein Viertel, das sehr lebendig ist. Dieser 13. Pariser Bezirk steht eben auch für all diese Dinge zusammen, ihn nur mit 'Chinatown' zu beschreiben, wäre zu kurz gegriffen. Da Sie das historische Paris erwähnt haben: das habe ich in früheren Filmen bedient, damit war ich unzufrieden. Im 13. Bezirk habe ich die Chance, ein Paris zu drehen ohne Paris zu zeigen, ohne dass man weiß, das man in Paris ist. Das hat mich fasziniert, dass ich ein zeitgenössisches Paris zeigen konnte, das in einem ganz anderen Kontext steht als das klassische Paris. Ich habe dort selber lange gelebt und liebe es sehr. Es heißt übrigens Les Olympiades, weil es diese Türme hat und jeder dieser Türme sollte an eine Olympiastadt erinnern. Es ist gebaut worden zwischen 1968 und 1974 und sollte die Winterspiele in Grénoble herausheben. Das Witzige ist ja, dass dort in gewisser Weise eine Sex-Olympiade stattfindet, also noch ganz anderer Sport getrieben wird.
Nachdem ich den Film gesehen habe, kann ich ihn mir in Farbe gar nicht vorstellen. Für mich beschützte das Schwarzweiß die Intimität der Figuren – aber vielleicht hatten Sie ganz andere Gründe...
Das war schon Teil der Idee, hatte aber auch ganz praktische Gründe. Ich wollte die historische Stadt verlassen und auf die Modernität in Paris verweisen. Auch um die von Ihnen erwähnte Rohheit des Fleisches, des Körpers ein wenig abzuschwächen. Gleichzeitig hat Schwarzweiß diese sehr graphische Qualität. Dazu kam noch, dass bei 'Emilie', die Asiatin ist, und 'Camille', der Francoafrikaner ist, nur ein paar Grautöne dazwischen liegen, um diese beiden Figuren miteinander zu verbinden.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns