Interview mit Andrea Arnold zu ihrem Film »American Honey«
»American Honey« (2016). © Universal Pictures
Mrs. Arnold, Ihr Film versprüht über die fast drei Stunden seiner Laufzeit eine unglaubliche Energie. Ich würde gerne herausfinden, wie Sie das bewerkstelligt haben.
Ich wollte immer, dass Leben in dem Film ist, so habe ich mich bemüht, soviel wie möglich davon hereinzubringen. Auch der dokumentarische Ansatz, den ich in all meinen Filmen verfolge, half dabei. Es gehören aber doch sehr viele Dinge dazu.
Viele der Darsteller im Film sind nichtprofessionelle. Haben Sie sie besetzt, als Sie sie gesehen haben oder haben Sie vorab Zielvorstellungen formuliert, was diese Mitwirkenden mitbringen sollten?
Einige Figuren habe ich beim Schreiben relativ klar umrissen, wenn wir dann beim Casting allerdings auf Menschen stießen, die anderes mitbrachten, das uns auch gefiel, habe ich das angepasst.
Wie sehr waren die Szenen im Drehbuch ausgeschrieben und inwieweit haben sie Sachen eingefügt, die sich aus bestimmten Lokalitäten ergaben oder auch daraus, dass Sie lokale Einwohner als Mitwirkende vor der Kamera engagierten? Zum Beispiel die Szene mit den älteren Männern, die Star an ihren Pool zum Grillen einladen?
Die war ziemlich präzise im Drehbuch vorgezeichnet, ich würde sagen, 80% standen im Drehbuch, darunter der überwiegende Teil der Szenen, in denen Star und die anderen versuchen, etwas zu verkaufen.
Das überrascht mich jetzt, weil das so einen dokumentarischen Gestus hatte, genau so wie die Szene, in der die Mädchen im Garten hinter dem Haus eine Tanzchoreografie einstudieren.
Das war wohl eine derjenigen Szenen, die am ausgefeiltesten im Drehbuch umrissen waren.
Auch Ihre Hauptdarstellerin Sasha Lane wurde von Ihnen für das Kino entdeckt. Wie haben Sie bei den zahlreichen Szenen gearbeitet, de sie zusammen mit Shia LaBeouf, einem Profi, hatte?
Shia schätzt eine sehr natürliche Herangehensweise, genau wie ich. Insofern war es einfach mit ihm zu arbeiten. Sasha hatte in der Tat noch nie vor einer Filmkamera gestanden. Als ich sie traf, improvisierten wir. Ich habe den Darstellern das Drehbuch auch nur Stück für Stück gegeben und versucht, auf die jeweiligen Eigenheiten einzugehen.
Machen Sie überhaupt Proben oder lassen Sie die Kamera von Anfang an laufen?
Proben schätze ich nicht sehr, wenn mir etwas nicht gefällt, dann machen wir es noch mal.
Sie erwähnten gerade, dass Sie den Darstellern das Drehbuch erst kurz vor dem Dreh der jeweiligen Szene geben. Haben Sie das schon immer so gemacht?
In den letzten drei Filmen.
Diese Methode kannte ich bisher nur von Ken Loach. Sie sind bei Ihren früheren Filmen ja gelegentlich mit ihm verglichen worden – und er arbeitet seit einigen Filmen mit Ihrem Kameramann Robbie Ryan.
Wir haben offensichtlich einiges gemeinsam (lacht).
Würden Sie sagen, dass die Subkultur, die Sie in »American Honey« porträtieren, spezifisch amerikanisch ist? Oder gibt es in Großbritannien ebenfalls Leute, die etwas an der Haustür zu verkaufen suchen?
Doch, das habe ich selber erlebt, das waren junge Leute, die Küchenutensilien anboten. Manchmal habe ich ihren Chef gesehen, der am Ende der Straße auf sie wartete und sie wieder einsammelte.
Sie wurden von einem Zeitungsartikel inspiriert, der sich mit solchen Leuten beschäftigte. Was genau hat Sie daran fasziniert?
Ich wollte den familiären Aspekt erkunden, denn diese jungen Leute kommen oft aus kaputten Familien und sahen hier eine Möglichkeit, sich ihre eigene Familie zu schaffen.
Für mich hatte ihr Zusammenleben konträre Aspekte. Einerseits gibt es da eine ‚Loser Night’, auch wenn das spielerische Momente hatte, auf der anderen Seite waren einige offensichtlich dem eigenen Geschlecht zugetan, es war also eine Mischung aus Freiheit und Zwang.
Ich denke, wenn Du von dem Druck des Elternhauses weg bist, hast Du mehr Freiheiten. Einige Jungs aus West-Virginia erzählten, dass sie dort als Schwule große Probleme hatten. Aber ich habe auch von Zwangssituationen gehört.
Haben Sie bei Ihren Recherchen auch herausgefunden, was mit ihnen später geschieht?
Viele finden bei der Arbeit einen Partner, mit dem sie dann eine Familie gründen. Manche sind aber auch derartig ‚angefixt’ von dieser Lebensweise, dass sie davon nicht lassen können.
Musik spielt eine wichtige Rolle im Film. Hatten Sie einige der Songs schon beim Schreiben im Kopf oder haben Sie im Schneideraum unterschiedliches ausprobiert?
Die meisten hatte ich schon in das Drehbuch hineingeschrieben, einiges aber beim Schnitt geändert, wenn ich Passenderes fand. Ich habe auch die Leute vor der Kamera, die viel Musik hörten, ermuntert, Vorschläge zu machen.
Eine weitere Besonderheit ist das Filmformat, die klassische Academy Ratio (4:3), in dem Sie gedreht haben. Ich hatte vollkommen vergessen, dass Sie das auch schon früher gemacht haben. Für mich wurde dadurch einerseits eine Konzentration auf die Figuren erreicht, andererseits wurde ich mir auch bewusst, dass ich im Kino saß.
Als ich das bei »Fish Tank« zum ersten Mal machte, haben wir zunächst verschiedene Formate ausprobiert, dieses gefiel mir am besten. Ich mache meistens Filme über einzelne Figuren, das scheint mir dafür passend zu sein: die Figur, der ich folge, zu würdigen. Die Figur ist mir wichtiger als die Landschaft. Mir gefällt auch, dass man im Film den Blick konzentriert und nicht den Wimbledon-Effekt hat, wo die Augen von links nach rechts wandern je nachdem, wer gerade spricht – gerade in einem Kino mit großer Leinwand.
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