Interview mit Regisseur Pete Docter und Produzent Jonas Rivera zu »Alles steht Kopf«
Foto: Silke Reents
"Mögen sie nie erwachsen werden": Regisseur Pete Docter und Produzent Jonas Rivera über San Francisco, Brokkoli und die Darstellung von Gefühlen
Vor einem Film fahren die Pixar-Mitarbeiter oft in fremde Länder, um sich von bestimmten Landschaften inspirieren zu lassen. Bei »Alles steht Kopf« dagegen ging die Reise nach innen: war das ein großer Unterschied?
Docter: Es war anders, aber es erfüllte denselben Zweck. Diese Recherchen beeinflussen in hohem Maße, wie ein Film am Ende aussieht. Das war hier vor allem das Konzept, dass Gefühle arbeitende Wesen sind. Wir denken bei dem Wort eher an plötzliche Gefühlsausbrüche und machen uns nicht klar, dass sie eine Funktion für den Organismus erfüllen. Die Motivationen zu kennen, die ihr Handeln beeinflussen, war so etwas wie ein Schlüssel beim Schreiben für uns.
Im Nachspann wird zwei Wissenschaftlern namentlich gedankt. Haben Sie von denen zu Beginn einen Crashkurs in die Arbeitsweise von Gefühlen bekommen, oder konnten Sie denen schon ein Konzept vorlegen?
Rivera: Das fand ziemlich früh statt. Da hatten wir allerdings schon die Idee, Gefühle zu personifizieren. Die beiden schienen die Richtigen zu sein, um uns etwas beizubringen. Es gab die Figur des jungen Mädchens, dass durch einen Ortswechsel großen Veränderungen ausgesetzt ist. Wie viele unterschiedliche Gefühle gibt es? Haben sie alle einen Namen? Welche Wirkungen haben sie auf uns – all das, was für die Geschichte wichtig war.
Im Film sind die Gefühle zu Personen geworden. Aus dem Kopf von Zorn kommen Flammen, wenn er sich aufregt. Das ist ebenso eindrucksvoll wie plausibel – ich vermute, bei den anderen Figuren war es schwerer?
Docter: Die ganze Wand war gefüllt mit unterschiedlichen Entwürfen: Wir diskutierten jeden einzelnen, dann hieß es: diese Form gefällt mir, das passt zu Zorn, dieser zusammengepresste Würfel, der den Eindruck erweckt, er könne jeden Augenblick explodieren: Das Feuer befand sich ursprünglich in einem anderen Entwurf, wir haben dann beide zusammengefügt. Ekel war viel schwieriger: sollte sie angeekelt sein oder aber selber eklig sein?
Gab es irgendwelche Objekte oder Lebewesen, die ihnen halfen, die Gefühle darzustellen?
Rivera: Wir griffen eher auf die Sprache zurück, etwa den Satz "I feel so blue" – "blue" im Sinne von traurig. Es gibt aber keine Regeln, wenn man Gefühle personifiziert.
Von frühen Disney-Filmen wissen wir, dass die Animatoren ihrer Arbeit oft Bewegungsstudien zugrunde legten. Gibt es bei Ihnen etwas Vergleichbares oder ist das ganz anders, zumal wir es hier mit Figuren zu tun haben, die kein reales Äquivalent besitzen?
Docter: Ich würde schätzen, die Hälfte aller Einstellungen hat Live-Action Referenzen, meist ist es der Animator, der sich selber filmt, manchmal auch ein Schauspieler, der vor einem Mikrophon steht, seltener ein Tier.
Ich glaube, es ist das erste Mal, dass die Schauspieler, die den Gefühlen ihre Stimmen leihen, im Nachspann außerdem eine Nennung für "zusätzliche Dialoge" bekommen.
Docter: Amy Poehler und Bill Hader sind nicht nur Schauspieler, sondern eben auch erfahrene Autoren, die es schaffen, ihre Gespräche entsprechend komisch zu machen, ohne dass man ihnen die Anstrengung anmerkt. Genau das wollten wir uns zunutze machen.
Rivera: John Lasseter hat die Schauspieler allerdings schon bei »Toy Story« ermutigt, etwas auszuprobieren beim Sprechen der Dialoge. Wir sind hier darüber hinaus gegangen. Bill Hader hat sogar eine ganze Reihe von Szenen geschrieben, in denen seine Figur gar nicht auftauchte.
Gab es je die Sorge, dass dies ein Film sein könnte, der für Kinder zu abstrakt ist?
Rivera: Ich glaube, das war eher unsere Sorge als die des Studios. Wir haben das Glück, an einem Ort zu arbeiten, wo andere Filmemacher das Sagen haben. Wenn John Lasseter sieht, dass wir ein Ziel vor Augen haben, gibt er uns alle erdenklichen Freiheiten. Schwierig war es nur, wenn wir anderen erklären wollten, wovon der Film erzählt. Das war die Herausforderung für uns: dieses abstrakte Thema physisch erfahrbar zu machen.
Brokkoli kommt im Film nicht gut weg: hatten Sie selber eine traumatische Erfahrung damit oder aber Ihre Tochter?
Docter: Meine Tochter mag es in der Tat nicht, wie viele Kinder, zumindest in den USA.
Am Ende wird die Pubertät in der Zukunft sichtbar, aber eine Figur meint, darüber brauche man sich keine Sorgen zu machen, weil die schnell vorüber ginge. Nachdem dieser Film so erfolgreich angelaufen ist: ist das eine Option für eine mögliche Fortsetzung?
Rivera: Pete und ich möchten lieber eine neue Originalidee umsetzen. Nach »Oben« haben wir aus dem selben Grunde erst einmal eine Pause eingelegt. Zum anderen glaube ich nicht, dass wir mutig genug wären, um den Schrecken der Pubertät auf die Leinwand zu bringen – aber man soll nie "nie" sagen.
San Francisco sieht bei Ihnen ziemlich anders als als im letzten Disney-Animationsfilm, »Baymax«. Gab es da je Berührungspunkte?
Rivera: San Franciso ist so eine tolle Filmstadt, es gibt die »Vertigo«-Version, die »Dirty Harry«-Fassung. Uns gefiel die Idee, dass die Stadt zunächst so aussieht wie auf den Ansichtskarten, aber sobald du dein Auto parkst, ist alles ganz anders. San Francisco sieht bei uns so aus, wie Riley sich in dieser neuen Umgebung fühlt.
Im Nachspann findet sich auch der Satz, "Gewidmet unseren Kindern, mögen sie nie erwachsen werden" Ist das eine realistische Hoffnung?
Docter: Oh, ja! Ich habe das Gefühl, dass wir selber nie erwachsen geworden sind und gerade deshalb können wir unsere Arbeit so gut machen: sie erinnert die Menschen an etwas, das sie vergessen haben.
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