Interview mit Jaco van Dormael zu seinen Film »Das brandneue Testament«

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»Regisseur Jaco van Dormael«

"Mich interessieren die Fragen, nicht die Antworten"

Brüssel gilt als hässliche Stadt. Wie sehen das die Einwohner? Hassen sie es, dort zu leben?

Nein, sie wissen, dass die Stadt hässlich ist, aber auch, wie man sie für sich aufhübschen kann.

Haben Sie selber Ihr ganzes Leben dort verbracht?

Nein, bis ich sieben Jahre alt war, wuchs ich in Deutschland auf, in der Nähe von Frankfurt, wo mein Vater als Einkäufer für eine belgische Firma arbeitete. Später habe ich auch ein Jahr in Paris verbracht, aber die meiste Zeit in Brüssel gelebt.

Wurden Sie zu der Vorstellung, dass Gott in Brüssel lebt, von einem bestimmten Ereignis inspiriert?

Mein Ko-Autor und ich tauschten Ideen aus und diese brachte uns beide zum Lachen. Noch interessanter war aber der zweite Satz: er hat eine Ehefrau und eine Tochter, über die nie jemand gesprochen hat. Und das Datum des Todes: da geht es nicht mehr um Gott, sondern um uns ­– was würden wir tun wenn wir wüssten, das Paradies ist im Diesseits?.

Eine vielversprechende Ausgangsidee führt nicht automatisch zu dem Reichtum an bizarren Details, die wir in diesem Film erleben. Haben Sie das systematisch erarbeitet?

Für mich ist das Bizarre normal – so etwas zu schreiben, ist für mich alltäglich. Die Zusammenarbeit mit meinem Ko-Autor verlief tatsächlich in einer Art Ping-Pong-Spiel. Wenn ich alleine arbeite, schreibe ich meine Ideen auf Karten und behalte dabei die dreiaktige Struktur im Kopf. Mehr als der Inhalt interessiert mich die Struktur, ich habe den Eindruck, der Inhalt ist die Struktur. Fragen interessieren mich, nicht die Antworten. »Mr. Nobody« war wie ein Traum, der sich in alle möglichen Richtungen entwickeln konnte. Die meisten Filme heutzutage haben eine Struktur, wo man auf das Ende wartet, das einem die langersehnten Antworten gibt. Darüber vernachlässigt man die Wichtigkeit dessen, was man in diesem Augenblick erleben könnte. Hier hat das Buch eher die episodisch-verschachtelte Struktur, die wir aus Romanen wie "Die Handschrift von Saragossa" oder "Don Quichotte" kennen – jeder Moment, jedes noch so kleine Detail, jede Einstellung ist wichtig. Das bestimmt unsere Wahrnehmung, hier begreifen wir: jeder Moment unseres irdischen Daseins ist wichtig.

Ergibt sich die Struktur erst aus den Details?

Nein, das geht Hand in Hand. Mein Vergnügen ergibt sich nicht aus der Geschichte, sondern daraus, wie ich sie erzähle.

Wieviel der finalen Struktur entwickelt sich bei Ihnen erst im Schneideraum?

Die Struktur nicht, wohl aber der Rhythmus. Ich habe hier mit dem Cutter Hervé de Luz gearbeitet, der für Resnais und andere große Regisseure tätig war, Sein Talent ist kein technisches, vielmehr besteht es darin, dass er nach sechs Monaten Arbeit immer noch den Film fühlt und mit kleinen Nuancen Großes schaffen kann.

Wie sind Sie mit ihm zusammengekommen?

Er wurde am Ende der Fertigstellung von »Mr. Nobody« vom Produzenten engagiert, weil dem mein Ende nicht gefiel. Er meinte allerdings, der Film sei perfekt, es gäbe keinen Grund, etwas daran zu ändern. Er hat dann nur kleine Veränderungen am Rhythmus vorgenommen, am Ende war der Film sieben Minuten kürzer und viel besser.

Gab es in Ihrem Leben spezifische religiöse Erfahrungen, die Ihre Haltung geprägt haben?

Mein älterer Bruder glaubt an Gott, das gibt ihm eine Art Stärke. Er liest jeden Morgen in der Bibel und sagt anschließend: "Gott führt meine Hand, und ich schreibe Musik." Wenn ich mich manchmal negativ über seine Kompositionen äußerte, erwiderte er, er brauche meine Meinung nicht, denn Gott habe sie geschrieben.

Nicht nur in der Familie Gottes, sondern generell in Ihrem Film sind Frauen das stärkere Geschlecht…

Im Neuen Testament findet man nur wenig über Frauen, Meine ersten Filme habe ich mehr für Männer geschrieben, aber jetzt finde ich Frauen interessanter – die sind mysteriöser.

Mit Catherine Deneuve haben Sie einen großen Star in Ihrem Film, Wie sind Sie auf die gekommen?

Ich sah sie in einer Fernsehdebatte, in der es um die gleichgeschlechtliche Ehe ging und sie deren Gegnern vehement entgegenhielt, wir hätten kein Recht zu sagen, das eine sei gut, das andere böse. Ich war voller Bewunderung für diese Frau, die sagte, was sie dachte. Ich ließ ihr das Drehbuch zukommen, und sie sagte "Ja". Sie kam am Set an und war voller Humor.

Werden Zuschauer, die religiös sind oder aber Religionskenntnisse haben, mehr aus dem Film mitnehmen können?

Möglicherweise, aber ich habe nicht viele Freunde, die an Gott glauben, so ist das schwer zu sagen. Ich fand es aber bemerkenswert, dass die belgische website Kerk.net dazu aufrief, den Film anzusehen, weil er die Rolle der Frauen in der Kirche problematisieren würde und sich mit den Vorstellungen vom Paradies auseinandersetzte. Ich wolle mit dem Film niemanden schockieren, aber ich wollte auch niemanden nicht schockieren. Fanatiker werden bestimmt schockiert sein, weil sie eine andere Auffassung von der Rolle der Frau haben.

Gab es Reaktionen von offizieller kirchlicher Seite?

Davon weiß ich nichts, aber ich bin mir sicher, wenn der Papst den Film sieht, wird er sich amüsieren.

Meinung zum Thema

Kommentare

Gratulation zu diesem Film! Ich bin begeistert!!

Als Pfr. i.R. war ich tief berührt von der Zartheit des Films und den vielschichtigen theologischen Anspielungen. Erst recht, wie die Tochter Gottes und dann seine Frau einen ganz anderen Entwurf des Lebens zuwege brachten... Ein wunderbarer Film!

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