Kritik zu Who Am I – Kein System ist sicher
Geht doch: Mit seinem rasant-raffinierten Hacker-Thriller beweist Baran bo Odar (»Unter der Sonne«, »Das letzte Schweigen«), dass auch hierzulande modernes Genrekino möglich ist
Hacken, das sei wie Magie, meint der junge Benjamin. Wie zum Beweis führt er gern einen Zaubertrick vor, bei dem er aus vier Zuckerwürfeln einen macht und aus dem einen wieder vier. Irgendwann begeht er den einen Fehler, der keinem Magier unterlaufen darf: Er zeigt, wie der Trick funktioniert. Und plötzlich erscheint banal, was vorher noch rätselhaft und kompliziert wirkte.
Benjamin (Tom Schilling) ist eine graue Maus im hippen Berlin, ein intelligenter, aber schüchterner Einzelgänger und Computerfreak, dem es an innerer Stärke und äußerer Orientierung mangelt. Er ist, gewissermaßen, ein deutsches Pendant zu Keanu Reeves in Matrix, Edward Norton in Fight Club, James McAvoy in Wanted: einer, der geweckt werden muss. Einer, der den starken Mentor braucht, um endlich aufzubegehren. Im deutschen Kino gibt es derzeit wohl niemanden, der diesen »Lehrer« glaubwürdiger verkörpern könnte als Elyas M’Barek. Mit seiner typischen Mischung aus Virilität und Schnoddrigkeit lockt er den unauffälligen Benjamin in eine Welt aus Action und Abenteuer. Und lehrt ihn fundamentale Weisheiten: dass du sein kannst, wer immer du willst. Und dass es keine Sicherheit gibt im Leben, so sehr wir auch danach streben.
Wenn Benjamin der Edward Norton aus Fight Club ist, dann ist Max der Tyler Durden: der Anführer einer Spaßguerilla namens CLAY, die kräftig mit den Verhältnissen Schlitten fährt. Max, Hacker und Hedonist, ahnt sofort, dass er mit Hilfe von Benjamins herausragenden Programmierkenntnisse bald Großes wird leisten können. Es geht gegen die großen Konzerne, aber auch gegen die Cyberkonkurrenz, die es zu beeindrucken und zu übertrumpfen gilt. Für Benjamin ist das eine rauschhafte Erfahrung – endlich dazugehören, endlich etwas Bedeutendes tun, endlich jemand sein. Bis aus den lustigen Spielchen bitterer Ernst wird und Europol Jagd auf CLAY macht.
Da ist er also, ein deutscher Thriller, der den amerikanischen Vorbildern nicht bloß hilflos hinterherhechelt, sondern es mit ihnen aufnehmen kann. Baran bo Odar, der vor vier Jahren mit dem bildmächtigen Ensembledrama Das letzte Schweigen bekannt wurde, erweist sich erneut als moderner Stilist, der mit Drive und Raffinesse zu erzählen weiß. Seine Inszenierung ist ausgeklügelt und versiert, sie konzentriert sich auf den visuellen Effekt, ohne die Figuren aus den Augen zu verlieren, sie betont die Emotion, ohne dabei den Intellekt zu vernachlässigen.
Who Am I lässt sich auf mehreren Ebenen goutieren. Die vordergründige Geschichte einer Freundschaft und eines Reifeprozesses, stark gespielt von Schilling und M’Barek, folgt dabei noch am ehesten den Genrestandards. Parallel dazu taucht der Film sehr zeitgemäß in die Welt von Überwachung und Internetkriminalität ein; ihr letztes großes Ding drehen die vier Hacker, zu denen neben den beiden Protagonisten der kernige Stephan (Wotan Wilke Möhing) und der dauerskeptische Paul (Antoine Monot Jr.) zählen, in der Zentrale des BND. Um die Cyberwelten visuell darstellbar zu machen, wählt bo Odar einen inszenatorischen Kniff, über den man lieber nicht zu lange nachdenken sollte: Er lässt die Hacker-Community in einem virtuellen U-Bahn-Waggon zusammentreffen, wo die abstrakte Welt der Codes plötzlich physisch wird.
Der interessanteste Aspekt von Who Am I ist seine Struktur. Die Story entfaltet sich in langen Rückblenden, in denen Benjamin in der Manier eines geläuterten Kriminellen einer dänischen Ermittlerin (Trine Dyrholm) seine Lebensbeichte ablegt. Auch das, so scheint es, ist keine sonderlich originelle Drehbuchtechnik. Doch je länger Benjamin erzählt, desto undurchschaubarer werden die Zusammenhänge. Und desto mehr beginnen wir uns zu fragen, wo in seinen Ausführungen die Grenze zwischen Realität und Erfindung verläuft, zwischen Tatsache und Täuschung. Die Antwort gibt der Film am Ende ganz stilecht: mit einem sensationellen Zaubertrick.
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