Kritik zu Silver Linings

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Mit dem Boxer-Drama The Fighter gelang David O. Russell vor zwei Jahren ein Karriere-Coup, den man dem Regisseur von Three Kings und I Heart Huckabees nicht mehr zugetraut hätte. Auch in seinem neuen Film überzeugen vor allem die Schauspieler

Bewertung: 3
Leserbewertung
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3 (Stimmen: 1)

Ein bisschen verrückt zu sein war im 20. Jahrhundert phasenweise ziemlich schick. Es galt als Ausweis einer erstrebenswerten Unangepasstheit. Zu zeigen, wie sehr sich die Werte in dieser Hinsicht gewandelt haben, mag zwar nicht das Motiv von Regisseur David O. Russell dafür gewesen sein, Matthew Quicks kleinen Roman über einen jungen Lehrer mit frisch diagnostizierter bipolarer Störung zu verfilmen. Der klare Blick auf ein bestimmtes Milieu und den dortigen Umgang mit psychischen Störungen macht aber den Charme dieses Films aus, dessen Eckdaten – sympathische Außenseiter im »Blue-Collar«-America finden auf Umwegen zueinander – ein klassisches Feelgoodmovie erwarten lassen. Diesen Erwartungen an komödiantisch- versöhnliche Obertöne entspricht Silver Linings dann nicht wirklich – was sich am Ende aber als seine Stärke erweist.

Zu Beginn sieht man Pat (Bradley Cooper), wie er von seiner Mutter Dolores (Jacki Weaver) aus der Nervenklinik abgeholt wird. Es reichen wenige Sätze und man begreift, dass es Pat zwar schwer fällt, sich anzupassen, dieses aber mitnichten ein Zeichen von Coolness ist. Er weiß es selbst. Zum Antihelden taugt er auch deshalb nicht, weil die Nervenklinik von heute keine Anstalt des Wegsperrens und der Repression mehr ist, sondern eher ein Unterstützungszentrum für die »mental Geforderten «. Je wohlwollender alle auf ihn eingehen, desto verrückter erscheint Pat.

Zwischen Abschied aus der Klinik und der Rückkehr ins Jugendzimmer im Haus der Eltern erfährt der Zuschauer die Eckdaten dieses vorerst gescheiterten Lebens: Pat hat vor acht Monaten seine Ehefrau Nikki mit einem anderen erwischt, den daraufhin krankenhausreif geschlagen und wurde deshalb selbst eingeliefert und mit bipolarer Störung diagnostiziert. Nun will er ins normale Leben zurück, und das bedeutet vor allem, zurück zu Nikki. Die hat allerdings eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirkt. Ein Freund macht ihn mit Tiffany (Jennifer Lawrence) bekannt, von der sich Pat erhofft, sie könne den Boten spielen zwischen ihm und der Exfrau. Die temperamentvolle Tiffany aber hat selbst so ihre Probleme und dementsprechende Pläne. Die Begegnungen der beiden verlaufen in kränkender, ohrenbetäubender Offenheit. Nach und nach zeigt sich, dass ihre jeweiligen Verrücktheiten sich vielleicht ganz gut ergänzen.

Dass Pat ein uncooler Loser ist, hält den Film nicht davon ab, auf seiner Seite zu sein. Ganz im Gegenteil. Wie überhaupt Regisseur David O. Russell das dargestellte Untere-Mittelklasse- Milieu irgendwo in Philadelphia in seiner leichten Schäbigkeit und spießigen Enge ohne jede Entlarvungswut betrachtet. Die an Dogma-Filme erinnernde Handkamera bedrängt die Figuren nicht, sondern nimmt sie hin, wie sie sind: Pats dauerbesorgte Mutter (Jacki Weaver), seinen ebenfalls ziemlich zwangsgestörten Vater (Robert de Niro in Hochform), den wettverrückten Nachbarn Randy und viele weitere, mehr oder weniger verschrobene Gestalten. Über manche Unebenheit des Plots hinweg demonstriert Russell aufs Schönste, dass der Unterschied von »normal« zu »verrückt« eher überschätzt wird.

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