Kritik zu Silence

© Concorde Filmverleih

In Martin Scorseses filmischer Meditation über Religion und Glauben wird ein Priester im Japan des 17. Jahrhunderts an seine Grenzen geführt

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Mit idyllischen Fernost-Klischees räumt Martin Scorsese in »Silence« gleich zu Anfang auf. Japan ist hier nicht das Land der Zengärten und Teezeremonien, sondern ein unwirtlicher, grausamer Ort. Kultur findet scheinbar ausschließlich in Form ritualisierter Gewalt statt. Kein Wunder, so der Eindruck, die Insel ist schließlich nahezu gottlos. Wir schreiben das Jahr 1638, die christliche Lehre ist in Japan seit Jahrzehnten strengstens verboten. Christliche Japaner werden ebenso verfolgt, gefoltert und getötet, wie europäische Missionare. Dennoch reisen zwei portugiesische Jesuiten heimlich ins Land: Pater Rodrigues (nicht recht überzeugend: Andrew Garfield) und Pater Garupe (Adam Driver) wollen ihren verschollenen Mentor Pater Ferreira (Liam Neeson) finden. Es heißt, er habe seinem Glauben abgeschworen und führe nun ein Leben als japanischer Bürger. Nach ihrer Ankunft werden die beiden von christlichen Dorfbewohnern versteckt, aber Rodrigues fällt bald dem Inquisitor Inoue (Issey Ogata) in die Hände. Indem Inoue andere Christen vor seinen Augen töten lässt, versucht er Rodrigues zur Apostasie zu bewegen. Ohne Erfolg.

Scorsese inszeniert das als eine Mischung aus Passionsgeschichte und Conradschem Trip ins »Herz der Finsternis«. Rodrigues wird zur Jesusfigur, mit christlichen Bauern als Jüngern, darunter ein Judas, und dem Inquisitor als Pontius Pilatus. Sein Reise führt ihn durch ein mystisches Land und wenn der verschollene Ferreira gegen Ende auftaucht, gleicht er einem Colonel Kurtz. Diese Symbolschwere kontert Scorsese mit einer in ihrer Kargheit höchst expressiven Erzählweise. Die titelgebende Stille wird dabei zu einer Art Leitmotiv. Der Wind und die Meeresbrandung, das Rauschen von Blättern und das Knistern von Feuer bestimmen die Tonspur. Auch die Bilder kontrastieren Rodrigues' theologische Sinnsuche mit den Elementen der Natur: Graue Gesteinsformationen, tosendes Meer und Nebelschwaden bilden eine Welt, in der die Gläubigen sich unsicher, oft vorsichtig tastend bewegen. Wie aus einem Stummfilm muten die expressiven Einstellungen und Gesten in diesen Momenten an.

Wenngleich »Silence« thematisch an »Die Letzte Versuchung Christi« und »Kundun« anknüpft, ist er dem »Wolf of Wall Street« in mancher Hinsicht ebenso nah. Die orgiastische Körperlichkeit Jordan Belforts findet hier eine Entsprechung in Rodrigues' religiöser Hingabe. Wo der Broker sich als »Master of the Universe« fühlte, sieht der Priester sich als Wiedergänger Jesu. Hier wie da erzählt Scorsese von extremen Persönlichkeiten, und seine Kunst besteht darin, die Haltungen seiner Protagonisten nachfühlbar zu machen, gezielt aber auch ihre moralischen Fragwürdigkeiten zu entlarven. Bei »Silence« ist das umso entscheidender, da wir es in Rodrigues letztlich mit einem religiösen Fanatiker zu tun haben: Aus »Treue« zu seinem Gott nimmt er den Tod zahlloser in Kauf. Man stelle sich die Reaktionen auf einen arabischen Film über einen ebenso fanatischen Moslem vor. In »Silence« werden Christen lebendig verbrannt und öffentlich enthauptet. Politische Konnotationen, ob intendiert oder nicht, lassen sich da kaum ausblenden.

Die Kraft von Scorseses Film liegt denn auch in der Ambivalenz gegenüber dem institutionalisierten Glauben, die er bei aufgeklärten Zuschauern auslösen muss. Je ausgefeilter die Grausamkeiten der Japaner werden, desto weniger mag man Rodrigues Widerstand folgen. Seine zunächst bewundernswerte Unnachgiebigkeit weicht dem Eindruck einer selbstherrlichen Verblendung. Im gleichen Zug erwächst ein Verständnis für die japanischen Statthalter, die dem römisch-katholischen Wahrheitsanspruch mit Intellektualität und fernöstlicher Philosophie begegnen. Plötzlich wirkt das Land nicht mehr archaisch, sondern bei aller Strenge kulturell verfeinert. So stellt »Silence« am Ende nicht nur Sinn und Legitimität von Missionierungen in Frage. Er zeigt vor allem auch, dass Glauben keine Frage von Symboltreue ist, sondern eine Sache der individuellen Spiritualität. Die lässt sich nicht brechen.

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