Kritik zu Shadow Dancer

© Fugu Films

Ein Rückblick auf das Jahr 1993 und den Nordirlandkonflikt. James Marsh (Man On Wire) zeichnet das Bild einer Frau, die aufgerieben wird zwischen den Fronten, zwischen Loyalität und Verrat

Bewertung: 4
Leserbewertung
3.75
3.8 (Stimmen: 4)

Man spürt förmlich ihre Unsicherheit. Die junge Frau sitzt in der Londoner U-Bahn, sie betrachtet die anderen Fahrgäste, irgendwie wirkt sie fremd mit ihren dunklen Haaren und der fahlen Gesichtsfarbe. Die Kamera bleibt immer wieder an ihrer Handtasche hängen, während sie durch die Gänge eilt, die Tasche auf eine Treppe stellt. Sie flüchtet durch die Versorgungswege der U-Bahn – und lässt sich ohne Gegenwehr festnehmen, als sie das Licht des Tages wieder erreicht hat.

Die Bombe in ihrer Tasche war nicht detoniert, weil sie den Zünder nicht aktiviert hatte, erfahren wir später vom MI5-Mann Mac (Clive Owen), der sie in London verhört. Colette McVeigh (Andrea Riseborough) ist eine Kämpferin der IRA, und Mac bietet der alleinerziehenden Mutter einen Deal an: Entweder sie wandert für das Attentat 25 Jahre ins Gefängnis nach Großbritannien, wo sie ihren Sohn nur selten sehen kann, oder sie willigt ein, für das MI5 ihre Umgebung auszuspionieren, vor allem ihre Brüder Gerry und Connor, beide ranghohe Offiziere in der IRA. Sie hat nicht wirklich eine Wahl.

Mac wählt als Treffpunkt einen einsamen Kai am Rand von Belfast, doch schon zum ersten Treffen erscheint Colette nicht. Die Polizei stürmt das Haus, in dem sie mit Mutter und ihrem Sohn lebt und nimmt die junge Frau fest. Es ist das Jahr 1993, wie ein Zwischentitel hinweist, ein markantes Jahr im Nordirlandkonflikt. Mehrere Bombenattentate der IRA erschütterten Großbritannien, gleichzeitig gab es Friedensverhandlungen, die in einen Waffenstillstand ein Jahr später mündeten. Aber die historischen Eckdaten interessieren den Regisseur James Marsh eigentlich nicht – oder er setzt sie als bekannt voraus. Genausowenig wie er Colettes Motivation nur kurz antippt: 1973 hatte sie als Kind, so erzählt es die Exposition, ihren Bruder Süßigkeiten und Zigaretten für den Vater holen geschickt, und er starb in einem Feuergefecht. Im Mittelpunkt dieses Films steht die ausweglose Lage dieser jungen Frau, der das Schicksal so übel mitspielt wie in einem griechischen Drama.

Denn auch die IRA ist nach dem missglückten Attentat auf Colette aufmerksam geworden, in Gestalt von Kevin, der bei Verdacht auch schon mal einen Mitkombattanten foltert. Er wittert in ihr die Informantin, nach der er schon lange sucht. Die Sequenz, in der er sie in einer leerstehenden Wohnung verhört, ist beispielhaft für Marshs unterkühlten, doch sehr präzisen Inszenierungsstil. Während Colette durch den Gang der Wohnung läuft, wird eine Pistole auf den Küchentisch gelegt und eine Plastikplane im Nebenzimmer ausgebreitet. James Marsh ist ein Regisseur, der zwischen Dokumentar- und Spielfilm pendelt. Neben dem zweiten Teil der Red Riding-Trilogie (bei uns nur auf DVD, siehe epd Film 10/2010, Seite 58) hat er etwa einen Film über den Balancekünstler Philippe Petit (Man On Wire) gedreht. Man kann auch in Shadow Dancer den dokumentarischen Ansatz erkennen, im Gespür für die Enge und Muffigkeit der Häuser, für die tristen Hinterhöfe und manchmal wie ausgestorben wirkenden Straßen. Es ist ein Film ohne Farben, und die Sonne scheint auch nie in Belfast. Nur Colettes roter Regenmantel leuchtet, zeigt den Lebenswillen dieser Frau, die von Andrea Riseborough in einer eindringlichen Mischung aus Verschlossenheit und Melancholie verkörpert wird.

Und die Schlinge legt sich immer enger um den Hals der jungen Frau, die mehr und mehr zum Spielball der beiden Seiten wird. Es macht den Reiz dieses Films aus, dass er die Gewaltstrukturen mit der Familienbande verbindet, Vertrauen mit Verrat. Denn um ihre Zuverlässigkeit zu testen, zwingt ihr Bruder Connor sie dazu, an einem Attentat auf einen britischen Polizisten mitzumachen. Doch auch Mac muss erkennen, dass er nur eine Schachfigur in einem größeren Spiel war. Colette diente seiner Chefin (Gillian Anderson) dazu, die Aufmerksamkeit von der Person zu lenken, die seit Jahren schon als Maulwurf im Familienumfeld arbeitet. Deckname: Shadow Dancer.

Marshs Film lief vor anderthalb Jahren auf der Berlinale. 2005 hat die IRA ihre Waffen niedergelegt. Shadow Dancer zeigt sie in ihrem Verfall, als Organisation, die die Frage nach dem Warum nicht mehr stellt und wie der britische Geheimdienst nur noch Teil eines schmutzigen Spiels ist. Und auch Mac, so viel sei verraten, wird am Ende nicht zu den Gewinnern gehören.

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