Kritik zu Noah
Hollywood goes bible: Darren Aronofskys Sintflutepos ist die erste von zahlreichen Neuverfilmungen, die demnächst in die Kinos kommen
So manch einer in Hollywood wird sich verwundert die Augen gerieben haben, als am 4. März 2013 die Zuschauerzahlen der ersten Folge von Die Bibel veröffentlicht wurden. 13 Millionen Zuschauer sahen den Piloten, und das im Pay-TV. Eine Quote wie ein brennender Dornbusch: Gehet hin und leset die Bibel, sprach sie zu den Studiobossen, denn die strotzt nur so vor Superhelden und Spektakeln. Wenig später fiel in Hollywood der Startschuss für rund ein Dutzend Produktionen: Ridley Scott, Will Smith, Paul Verhoeven, Ang Lee, Mel Gibson und einige andere wollen versuchen, dem Kino mit Geschichten aus der Heiligen Schrift Marktanteile zurückzuerobern.
Den Auftakt der neuen Bibelwelle macht Darren Aronofsky. Sein Noah könnte ein Vorgeschmack auf eine entscheidende Charakteristik dieses Trends sein: Sie geben sich gar nicht erst den Anschein des Historischen und setzen auch nicht auf religiöses Pathos, sondern nehmen sich die Freiheit, die Geschichten um Fantasy-Elemente zu bereichern und sie so in die Nähe der Comic-Blockbuster zu rücken.
Trotzdem ist Noah alles andere als ein Comicfilm; Aronofsky geht hier durchaus mit heiligem Ernst zur Sache und verfolgt mindestens drei erzählerische Strategien. Die erste – das Spiel mit tricktechnischem Pomp und fantastischer Überzeichnung – mag dem Kommerz geschuldet sein. Die zweite, interessantere aber läuft dem fast zuwider. Sie besteht darin, Noah (Russell Crowe) als ersten Öko zu interpretieren, als einen Mann, der Nachhaltigkeit und Bescheidenheit predigt und mit seiner Familie das Leben eines Aussteigers führt. Er ist im Einklang mit der Natur, und selbstverständlich ernährt er sich vegetarisch.
Sehr aktuell und zeitgemäß ist diese Figur also, ein Mahner und Warner, der uns genauso anspricht wie seine Zeitgenossen. Aronofsky inszeniert die Welt als verwüstete Zivilisation, die ihren Zenit überschritten hat und unter den Folgen von Fortschritt und Ausbeutung ächzt. Die Apokalypse steht nicht nur bevor, sie liegt eigentlich bereits hinter den Menschen, und fast wirkt es, als sei dies ein futuristischer Film: mit Noah als Mad Max, der sich gegen postindustrielle Barbaren, angeführt vom hübsch grauenvollen Ray Winstone, zur Wehr setzen muss. Vielleicht, sagt Aronofsky, schauen wir hier gar nicht in unsere Vergangenheit, sondern in unsere Zukunft.
Aronofskys dritte Strategie setzt diesem modernen Ansatz ein eher konservatives Bild entgegen: das des gestrengen, gottesfürchtigen Kreationisten Noah. Seiner Familie erzählt er, wie Gott die Welt in sechs Tagen erschuf, und Aronofskys Kamera illustriert diese Weltwerdung mit spektakulären Zeitrafferbildern. Das sieht zwar toll aus, ist in seiner Rückwärtsgewandtheit aber genauso fragwürdig wie Noahs Wandel vom milden und einfühlsamen Vater zum rasenden Henker der Menschheit. Aber immerhin: Im letzten Akt, dem Kammerendspiel auf der Arche, verweigert sich Aronofsky der Hollywoodkonvention und verzichtet weitgehend auf physische Konfrontation. Lieber widmet er sich einem wahrhaft gewaltigen moralischen Konflikt.
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