Kritik zu Les Misérables

© Universal Pictures

Erfolg zieht eben Erfolg nach sich: Das seit 32 Jahren auf den Bühnen dieser Welt bejubelte Musical nach Victor Hugo wurde nun von Tom Hooper (The King’s Speech) verfilmt und prompt mit acht Oscar-Nominierungen bedacht

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In einem grandiosen Anfang nähert sich der Blick in weitem Bogen einer Talsenke mit geschundenen Sträflingen voller Dreck, Schweiß und Blut im postrevolutionären Frankreich im Jahre 1815. Hier begegnen sich Valjean und Javert zum ersten Mal, der Sträfling, der 19 Jahre lang für den Diebstahl eines einzigen Brotes büßen musste, und der Polizist, der ihn über Jahrzehnte unerbittlich jagen wird, gespielt von den beiden australischen Haudegen Hugh Jackman und Russell Crowe. Doch dann der Schock, als sie beide alsbald ihre Gedanken und Worte nicht sprechen, sondern lauthals schmetternd heraussingen. Während Hugh Jackman dabei gesang- und tanzgeübt in seinem Element ist, wirkt Crowe, sonst ein nuancenreicher, intensiver Schauspieler, so, als würde er sich in seiner Haut überhaupt nicht wohl fühlen.

Les Misérables ist die Verfilmung der weltweit überaus erfolgreichen Musicalversion von Victor Hugos episch-historischem Roman. Seit 1988 war sie im Gespräch, damals  noch mit Robert Parker als potenziellem Regisseur. Regie führte jetzt Tom Hooper, ein ehemaliger Fernsehroutinier, der für The King’s Speech mit dem Oscar für die beste Regie geadelt wurde, obwohl die Wirkung des Films doch eher auf dem minutiös konstruierten Drehbuch und grandiosen Schauspielerleistungen von Geoffrey Rush und Colin Firth basierte, als auf einer sonderlich inspirierten Inszenierung. Er holt das Musical aus dem geschlossenen Bühnenraum heraus und zerrt es unter den freien Himmel, wobei das postnapoleonische Frankreich mit reichlich Dickens’scher Armutspatina überzogen ist. Trotz der einigermaßen gewagten Entscheidung, die Schauspieler unmittelbar und live singen zu lassen, und obwohl er sich immer wieder mit unruhig vibrierender Handkamera unter die Schauspieler mischt, gelingt es ihm nicht, dem Stoff echtes Leben einzuhauchen. Allzu brav und bieder dekliniert er in dem überlangen Film parallel zu den politischen und historischen Wirren der Zeit die Stationen der privaten Schicksale durch, die erste Begegnung von Valjean und Javert, Valjeans Flucht und sein Neustart als angesehener Fabrikbesitzer und Bürgermeister von Montreuil, der Auftritt der unglückseligen Fabrikarbeiterin Fantine (Anne Hathaway), die nach ihrer Entlassung zur Prostitution gezwungen ist, Valjean, der ihr am Sterbebett verspricht, für ihre uneheliche Tochter Cosette (Amanda Seyfried) zu sorgen, die zarte Liebe zwischen Cosette und einem jungen Revolutionär und immer wieder Javert, der Valjean in die Quere kommt. Nahezu das ganze Repertoire der fünfzig Songs des Musicals arbeitet Hooper ab, wobei zumindest die Frauen meistens sehr viel mehr natürlichen Charme und Herzblut entwickeln als die steif agierenden Männer. Ein echter Lichtblick aber sind die funkensprühenden Duette von Sacha Baron Cohen und Helena Bonham Carter als betrügerisch raffgieriges Gastwirtspärchen, die schon in Tim Burtons Sweeney Todd gemeinsam singend auftraten. Schmerzlich fehlt dem Film auf der langen Strecke eine originelle Neuinterpretation, ein eigenständiger Ansatz, eine Anbindung an das moderne Lebensgefühl.

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