Kritik zu Habemus Papam
Irren ist menschlich: Nanni Moretti zeigt in seiner melancholischen Komödie einen Papst mit Versagensangst, ohne die katholische Kirche und den Betrieb im Vatikan satirisch bloßzustellen
So hat man sich die Papstwahl eigentlich nicht vorgestellt: Während im Konklave die Stimmen des ersten Wahlgangs ausgezählt werden, fährt die Kamera durch die Sitzreihen der versammelten Kardinale und registriert, was die so vor sich hinbeten und -murmeln. Und siehe da, hier wird nicht für den eigenen Sieg oder den eines favorisierten Kandidaten gehofft und gezittert, nein, das häufigste Stoßgebet, das der Zuschauer von den Lippen der ehrwürdigen Herren ablesen kann, lautet: »Bitte, Herr, lass es nicht mich sein!«, oder auch nur kurz, aber um so intensiver: »Nicht ich, nicht ich!« Statt Ehrgeiz und Führungsbestreben sollen Ängstlichkeit und Versagensangst diese wichtige Wahl bestimmen? So zumindest malt es sich Nanni Moretti in seinem neuen Film Habemus Papam aus. Es ist der Beginn einer ebenso lebensklugen wie melancholischen Komödie.
Ambition und Aufstiegswillen zu zeigen, das bildet im heutigen gesellschaftlichen Konsens die unhinterfragte Grundlage des Erfolgs im Leben. Wer da nicht mitmacht, verurteilt sich selbst zum Außenseiter. Dabei ist doch eigentlich nichts natürlicher, als vor einem Amt mit einer weltweiten und großen Verantwortung wie dem des Papstes zurückzuschrecken. So ergeht es in Habemus Papam eben dem französischen Kardinal Jean-Pierre Melville (Michel Piccoli), der schließlich als Sieger aus den Abstimmungen hervorgeht. In dem Moment, als er auf den berühmten Balkon treten soll, um sich als frisch gewählter Papst den auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen zu zeigen, bekommt er gar einen Panikanfall. Die Zeremonie muss abgebrochen werden. Der umtriebige Vatikansprecher (Jerzy Stuhr) lässt schnell die Vorhänge zuziehen, auf dass niemand erfährt, was vor sich geht. Die Auflösung des Konklave wird aufgeschoben, die Kardinäle sollen im Vatikan verbleiben. Man ruft einen Psychoanalytiker (Nanni Moretti), der aber angesichts der für therapeutische Sitzungen denkbar ungeeigneten Umgebung – ständig hört einer zu, wie soll er da den Ängsten des Papstes auf den Grund gehen, wie ihn nach seinem Intimleben befragen? – wenig auszurichten vermag. Statt dessen organisiert er mit den verbliebenen Kardinälen ein Volleyballturnier. Beim Sport legen die Kirchenherren, allen voran ein vorlauter Deutscher, übrigens ganz schön Ehrgeiz an den Tag. Der deprimierte Papst in spe Melville flieht unterdessen aus dem Vatikan und sucht als unerkannter Fußgänger durch Rom in einem Theater Anschluss an die Träume seiner Kindheit. Er hatte mal Schauspieler werden wollen!
Man hat Morettis Film bei seiner Premiere in Cannes in diesem Frühjahr vorgeworfen, dass er zu sanft mit der katholischen Kirche umgehe und nicht satirisch genug sei. Dabei ist genau dieser sanfte Ton die große Stärke des Films. Obwohl der italienische Regisseur stets versichert, selbst nicht gläubig zu sein, scheint ihm nichts fremder, als sich über den Glauben anderer lustig zu machen. Seine Ausgangsidee – der frisch gewählte Papst hat Angst, dem Job nicht gewachsen zu sein – nimmt der Film sehr ernst. Und diese Ernsthaftigkeit verleiht dem Ganzen eine wunderbare Zärtlichkeit, Nachsicht und Großzügigkeit. Als zärtlich nämlich kann man den Umgang mit den alten Männern in ihren Kutten vor der Kamera beschreiben. Nachsicht fordert der Film in seiner Konsequenz für alle möglichen Unzulänglichkeiten ein, sei es Pillenmissbrauch, zu viel oder zu wenig Ehrgeiz, Hang zur Völlerei, Gedächtnisverlust und vieles mehr. Und mit Großzügigkeit begegnet er den an den Tag kommenden dogmatischen Versteifungen, seien es die des Katholizismus oder die der Psychoanalyse.
Zärtlichkeit, Nachsicht und Großzügigkeit – das beschreibt auch Michel Piccolis Auftritt hier. Der mittlerweile 85-Jährige vermittelt seine Verantwortungsscheu mit einer anrührenden Authentizität. Piccoli gelingt es, darzustellen, dass ihn keine Marotte, keine Exzentrik panisch werden lässt, sondern etwas zutiefst Menschliches. Und darin liegt die melancholisch- versöhnliche Botschaft dieses Films: Es ist o. k., sich den großen Aufgaben nicht gewachsen zu fühlen. Am Ende steht ein vielen vielleicht zu wenig kämpferisches, aber doch brisantes Plädoyer dafür, dass man sich eigene Schwächen besser eingesteht, als sie zu vertuschen.
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