Kritik zu Ein Lied für Nour
Wahre Geschichte: Hany Abu-Assads Film zeichnet die Karriere von Mohammed Assaf nach, der 2013 die Castingshow Arab Idol gewonnen hat
Junge Menschen, große Träume. Mohammed und seine Schwester Nour wachsen im Gazastreifen auf. Ihrer Umgebung wollen die Kinder entfliehen, Katalysator für den Ausbruch aus widrigen Verhältnissen soll die Musik sein. Mohammed (Kais Attalah) hat der Schöpfer eine wunderschöne Stimme geschenkt. Nour (Hiba Attalah) besitzt Organisationstalent, Ehrgeiz und Mut. Sie regt als Gitarristin die Gründung einer Band an – Fab Four auf Arabisch sozusagen. Nour beschafft Instrumente und gibt die Richtung vor. »Wir werden in Kairo spielen«, sagt sie mehr als einmal, »und die Welt verändern.«
Der Regisseur Hany Abu-Assad erzählt in seinem Film »Ein Lied für Nour« eine Erfolgsgeschichte. Abu-Assad, der sich mit Sozialdramen wie »Paradise Now« (2005) und »Omar« (2013) einen Namen gemacht hat, zeichnet die Karriere von Mohammed Assaf nach, der 2013 die Castingshow »Arab Idol« – ein ähnliches Format wie »Deutschland sucht den Superstar« – gewonnen hat. Abu Hassad hat zusammen mit Sameh Zoabi das Drehbuch geschrieben. Er nähert sich dem Thema ohne jede Sensationslust, ihn interessieren die Gefühle und die Motivation der Figuren, ihre kühnen Visionen und persönlichen Katastrophen. Das Happy End ist für Mohammed nicht ohne Niederlagen zu haben.
Am Anfang ist viel Bewegung, die Ehab Assals Kamera einfängt. Fußballspiel, Spurts über Dächer, Fahrradfahrten, Handgreiflichkeiten. Die Bilder spiegeln die innere Unruhe der Heranwachsenden. Sie haben mit Widerständen und brenzligen Situationen zu kämpfen. »Menschen sterben und du singst«, muss Mohammed sich einmal anhören. Hiba Attalah als Nour beweist einen ansteckenden Unternehmerspirit, der sich aus einer Gewissheit nährt: »Wir sind zu Besserem berufen.«
Als Nour erkrankt, droht der Traum vom Musikerglück zu zerplatzen. Das Mädchen braucht eine Spenderniere, doch wer soll das bezahlen? Nour und Mohammed nehmen den aussichtslosen Kampf gegen die Zeit und die Krankheit auf. Danach ist nichts mehr, wie es war.
Abu-Assad hat die Kinderfiguren mit Laiendarstellern besetzt. Dem Regisseur, der auch im Gazastreifen gedreht hat und dessen Tristesse ebenso abbildet wie die landschaftliche Schönheit, kommt es auf Authentizität an. Hiba und Kais Attalah rufen Leichtigkeit und Lebensenergie scheinbar mühelos ab und beglaubigen emotionale Tiefe, wenn die Situation es erfordert. Der Film setzt 2005 ein und macht dann einen Zeitsprung ins Jahr 2012. Tawfeek Barhom verkörpert nun Mohammed, der äußere Impulse braucht, um den Elan von einst wiederzubeleben. Barhoms seelenvolle Augen und gelegentliche Wutausbrüche spiegeln die Zerrissenheit des jungen Mannes und die Last der Vergangenheit.
Doch die Lethargie weicht wieder der Bewegung. Mohammed überwindet mit Geschick, Glück und Chuzpe Hindernisse, bis er in der Arena von »Arab Idol« in Kairo landet. Der Film stellt ihn nicht ins grelle Scheinwerferlicht, sondern konzentriert sich auf seine Ängste, Panikattacken und das Gefühl von Fremdbestimmung. Mohammed, genannt »die Rakete aus Gaza«, wird politischer Hoffnungsträger. Er inspiriere junge Palästinenser, heißt es. Das baut Druck auf, und der erfolgreiche Sänger erkennt: »Mein Leben gehört nicht mehr mir«. »Ein Lied für Nour« zeigt: Er hat es zurückgewonnen.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns