Kritik zu Der Tod von Ludwig XIV.
Albert Serra setzt den Tod des Sonnenkönigs im Jahr 1715 in Szene,als Mischung aus Verfaulen und Verdämmern inmitten einer Gefolgschaft, die angesichts des bevorstehenden Epochenwechsels erstarrt
Zu Beginn sind es lediglich ein paar kleine, dunkle Flecken am Fuß; sie würden von selbst wieder verschwinden, versichert der Leibarzt seiner Majestät. Am Ende ist das Bein bis weit übers Knie hinauf kohlrabenschwarz – und statt der Flecken verschwindet die Majestät. Gangräne. Wundbrand. Gewebsnekrose. Verfaulen des Fleisches bei lebendigem Leib. Beobachtet von einem Stab von Ärzten, einer Batterie von Dienern, einer Armee von Höflingen.
Im Jahre 1715 wird Ludwig XIV., genannt »der Sonnenkönig«, seit nunmehr 72 Jahren auf dem Thron, der Körper zum Verhängnis. Ein Körper, der, so der Historiker Ernst Kantorowicz, ein zweifacher ist: nämlich ein den Staat repräsentierender, ideeller, ewiger Rechtskörper und ein natürlicher, individueller Körper, der angreifbar und konkret ist – und vor allem sterblich.
Albert Serra zeigt in »Der Tod von Ludwig XIV.« die Kluft zwischen dem symbolischen Körper des Souveräns und dem persönlichen des Mannes Ludwig. Er zeigt sie in der Passivität, mit der die Untertanen – seien es das medizinische und das dienende Personal, seien es die Anverwandten und die Angehörigen des Klerus – der Krankheit des Königs begegnen. Wie paralysiert verharren sie im Angesicht des möglichen Endes einer Ära und halten an den Routinen des Hofzeremoniells fest, als könne es auch in diesem Falle Fakten schaffen. Stattdessen aber wird es vom Übergang zerfressen und das Ungefügte macht sich breit. So flüstern sie im Halbdunkel abbrechende Sätze, bleiben ihre Gesten halb ausgeführt, sind die Bewegungen unentschlossen. Der bald kopflose Volkskörper schickt ein ratloses »Was tun?« in die Luft, wo es schwebt wie das Fragezeichen über einer Comicfigur.
Es muss tierisch gestunken haben in Ludwigs Schlafgemach, doch selbstverständlich darf sich keiner etwas anmerken lassen, denn der König, der ja der Staat ist, stinkt nicht. Lediglich die zum Missfallen des Leibarztes herbeigerufenen medizinischen Kapazunder von der Pariser Sorbonne erlauben sich im Zuge ihrer Untersuchung des allerhöchsten Siechen ein kennerisches Naserümpfen. Zur rettenden Tat der Amputation führt allerdings auch dies nicht, stattdessen kommt das zweifelhafte Elixier eines Scharlatans zum Einsatz, wird der König mit Umschlägen und Einreibungen traktiert, wird jeder Löffel Suppe, der in seinem Mund verschwindet, als Zeichen einer möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Genesung beklatscht. Doch Ludwig fault weiter.
»Der Tod von Ludwig XIV.« ist ein hypnotischer Film, gänzlich der Verlangsamung der Lebensfunktionen, dem Verdämmern seines Protagonisten verschrieben. Vom 9. August bis zum 1. September dauert dieses Verlöschen. Und Jean-Pierre Léaud in der Titelrolle, der im Grunde nicht mehr zu tun hat, als, angetan mit variierenden, doch immer pompösen Perücken, auf dem Bett zu liegen, brennt währenddessen ein Loch in die Leinwand: Da liegt er, zwar der Schwäche und dem Zerfall anheimgegeben, doch im klaren Bewusstsein seiner Macht, Ludwig XIV., »der Sonnenkönig«, und stirbt seinen bescheidenen, großen Tod.
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