Der Winter, der ein Sommer war
Während meines ersten Berliner Jahrzehnts war das eine sichere Bank. Die Schachtelkinos waren nicht nur am Wochenende gerappelt voll. Die Zuschauer lachten sich scheckig. Kaum jemand schien sich daran zu stören, dass die Filme in sterilen Synchronfassungen liefen, die in den 70ern von Fernsehanstalten in Auftrag gegeben worden waren.
Dieses Manko konnte ihnen wenig anhaben. Die Komik war ohnehin wesentlich visuell und die Dialoge nicht ganz so schlecht übersetzt. Wie arm an Atmosphäre die Tonspuren waren, fiel im Gelächter der Kinosäle nicht so störend auf wie bei den Fernsehausstrahlungen. Nur meinen damaligen taz-Redakteur, den heutigen Perlentaucher Thierry Chervel, verdross dies sommerliche Ritual ein wenig. »Fällt den Kinos nichts anderes ein«, fragte er, als ich ihm wieder einmal einen enthusiastischen Artikel dazu anbot (in diesem ersten Jahrzehnt waren die Übergänge zwischen meinem Studium und dem Filmjournalismus bald ziemlich fließend)», als jedes Jahr irgendeine alte Screwball Comedy auszugraben?«
Wenn ich mich nicht täusche, nahm diese Gewohnheit der Berliner Programmkinos mit der erfolgreichen Wiederaufführung von Lubitsch-Filmen im legendären Notausgang an. Als dieses Repertoire erschöpft war, kamen dann andere andere Beispiele aus Hollywoods großer Komödienepoche in den 30ern und frühen 40ern an die Reihe. Ein paar liefen sogar im Original mit Untertiteln, darunter »Once upon a Honeymoon«, der leider nicht zu Leo McCareys besten Arbeiten gehört. Ich teilte den Missmut meines Redakteurs nicht (der übrigens keiner etwaigen Humorlosigkeit geschuldet war – immerhin gelang es mir, in der taz seinerzeit einen Nachruf auf Jean Arthur zu platzieren), sondern war vielmehr begeistert darüber, dass man endlich alte Filme mit Irene Dunne, Cary Grant und von mir aus auch Katherine Hepburn nun auf der Leinwand sehen konnte; oft übrigens zum ersten Mal, da sie während der Nazizeit entstanden und nicht importiert worden waren. Ich fand es entzückend, dass Berliner Kinogänger einen Eindruck davon gewinnen konnten, was für großartige Filmemacher Leo McCarey oder Preston Sturges waren. Dem Patron Lubitsch wurde im Notausgang sogar ein Denkmal gesetzt: in einer der mittleren Reihen saß eine ziemlich hässliche Gipsplastik, die ihn mit Zigarre und als Puppenspieler zeigte. Das Kino ist längst geschlossen und populäre Reprisen sind aus den sklavisch auf Aktualität ausgerichteten Programmkinos verbannt.
Nun betreiben allenfalls Kommunale Kinos und Filmmuseen diese Spielart heiterer Kino-Archäologie. Heute beginnt im Berliner Arsenal eine auf zwei Monate angelegte Retro und ich bin gespannt, ob der alte Zauber in Berlin noch wirkt. Im Österreichischen Filmmuseum lief im Dezember 2008 eine Screwball-Reihe mit bombigem Erfolg. Offenbar ist das Publikum heutzutage in der dunklen Jahreszeit besonders empfänglich für Lustbarkeiten auf hohem Niveau. Mein Redakteur bei der Wochenzeitung »falter« hatte damals die großartige Idee, keinen Übersichtsartikel zu bringen, sondern bei seinen Autoren kurze Texte zu Lieblingsfilmen zu bestellen. Ich schrieb damals über »The Talk of the Town«, ein spätes, unbekannteres Glanzstück dieser Schule, das im Januar im Arsenal zu sehen ist.
Mich hat die Bezeichnung Screwball Comedy immer ein wenig irritiert. Gewiss, es gab meist mindestens einen Wirrkopf in diesen Komödien. Aber wer übernimmt beispielsweise diesen Part in Howard Hawks' »His Girl Friday«? Da sind sie doch eigentlich alle einigermaßen bei Sinnen, Cary Grant sowieso, die ansonsten unausstehliche Rosalind Russell auch und der treuherzige Ralph Bellamy im Rahmen seiner Möglichkeiten ebenfalls. Die Rollenaufteilung zwischen straight man und Unruhestifter hielt sich erfreulicherweise ohnehin nicht an herkömmliche Geschlechterbilder. Allein schon Carole Lombard hebelt den Irrglauben aus, schöne Frauen könnten nicht komisch sein. Aber was mich vor allen Dingen an dem anarchischen Slapstick faszinierte, war die Eleganz, die Darsteller wie Grant, Dunne, Lombard oder Barbara Stanwyck (und von mir aus auch Hepburn) inmitten der Turbulenzen ausstrahlten. Sie blieben glamourös selbst dann, wenn sie eine Torte ins Gesicht bekamen. Allerdings besaßen sie die komödiantische Finesse, die Tücke des Objekts in eine des Subjekts zu verwandeln. Über das subversive Potenzial dieser Gesellschafts- und Geschlechterkomödien ließ und lässt sich viel Kluges sagen (heute beispielsweise von Fabian Tietke in der taz), ihre Verve ist unverwüstlich und ziemlich modern. Ich muss mich heute jedoch kurz fassen, da mir eine schlimme, anderweitige Deadline im Nacken sitzt und ich hoffe, dass mein Redakteur nichts von dieser Schwarzarbeit erfährt. Deshalb will ich es bei zwei Hinweisen und einem Selbstzitat belassen. Zum einen wünsche ich mir, dass die Retrospektive »Pursuits of Happiness« die Schaulust jenseits der kanonisierten Klassiker weckt und neugierig macht auf das Werk des hier zu Lande fast unbekannten Gregory LaCava (der bei Tietke dankenswerterweise eine zentrale Rolle spielt). Zum anderen will ich die Schelte auf die TV-Synchronisationen in sofern einschränken, als die Sender damals bei der Suche nach Titeln zuweilen prächtige Einfälle hatten: Der deutsche Titel von Hawks' Film, »Sein Mädchen für besondere Fälle«, ist dem ehemaligen WDR-Redakteur Wilfried Reichart zu verdanken. Und das Selbstzitat? Ich füge einfach, um ganz allgemein und ganz speziell Lust zu machen, meine Miniatur aus Wien an:
»The Talk of the Town«
Es ist nicht sein geringstes Verdienst, die Lebenslust im Hollywoodkino demokratisiert zu haben. Cary Grant verstand es, sie zu einer noblen, vielschichtigen Charaktereigenschaft zu erheben. Seine besten Komödien sind Lektionen in Vitalität, ihre ermutigende Botschaft handelt von der Mühelosigkeit, mit der sich Charme, Witz und Stil erwerben lassen. Er scheint sich immer viel zu wohl zu fühlen in der eigenen Haut, um ernsthaft die Welt verbessern zu wollen. Mithin fällt es zu Beginn von »Talk of the Town« etwas schwer, Grant in der Rolle eines Anarchisten zu akzeptieren; sein Genre ist eher der muntere Widerstand gegen die Konventionen. Aber George Stevens' Film changiert kühn zwischen den Registern, ist eine domestic comedy auch im politischen Sinne: Wie in »The More the Merrier« geht es um das Zusammenrücken in Kriegszeiten (wobei die Idee des Eindringlings ein Kompositionsprinzip vieler Einstellungen ist). Insgeheim verbirgt sich in Sidney Buchmans und Irwin Shaws Drehbuch einer Allegorie wider den Isolationismus Amerikas. Von der Polizei als Brandstifter gesucht, findet Grant Zuflucht in dem Ferienhaus, das seine alte Schulliebe Jean Arthur dem Juraprofessor Ronald Colman für den Sommer vermietet hat. Gegensätzliche politische Prinzipien und Lebenseinstellungen treten von nun an in kultivierten Wettstreit miteinander. Stevens hat übrigens zwei Enden gedreht und ließ das Publikum nach einer Testvorführung entscheiden, für welchen der romantischen Rivalen Jean Arthur sich entscheiden darf.
Ihre Meinung ist gefragt, Schreiben Sie uns