Der folgende Artikel stammt aus dem epd-Archiv, wir bitten die reduzierte Darstellungsweise zu entschuldigen
  Mit George allein im All

Das Kino der Zukunft: Das 70. Filmfestival von Venedig eröffnete glanzvoll mit George Clooney und Sandra Bullock im Weltraum

Von Barbara Schweizerhof


© Verleih Warner

Noch vor kurzem galten 3D-Filme und ein Filmfestival wie Venedig als nicht kompatibel – hier die auf pures visuelles Spektakel angelegte Unterhaltung, dort die seriöse Filmkunst. Der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón bewies nun, dass 3D-Kino und ein Genre wie das Weltraumabenteuer sehr wohl zu einem Filmfestival passen, sei es auch das älteste seiner Art wie Venedig, das in diesem Jahr seine 70. Ausgabe feiert. Selten wurde ein Eröffnungsfilm am Lido so vehement bejubelt wie Cuaróns „Gravity“.  Der Jubel galt dabei ausdrücklich nicht nur den in „Gravity“ agierenden Stars George Clooney und Sandra Bullock, die hier zwei Astronauten verkörpern, die im All verloren gehen. Nein er galt einem Film, der damit überraschte, wie visuelles Spektakel und intimes menschliches Drama in ihm zusammengehen.

Auch das All hat ein Entsorgungsproblem: Die Trümmer einer Raumstation werden Clooney und Bullock zum Verhängnis. „Gravity“ beginnt mit einer launigen Szene, in der die beiden Astronauten außerhalb ihrer Raumstation ihre Arbeit verrichten, mit Blick auf den von der Sonne angestrahlten blauen Planeten – die Erde in überirdischer Schönheit. „Die Aussicht ist nicht zu überbieten“, kommentiert Clooneys Figur die ansonsten eher ungünstigen Arbeitsbedingungen. Bullock spielt eine Wissenschaftlerin bei ihrem ersten Einsatz im All, Clooney den alten NASA-Hasen. Während sie mit dem Schwindel kämpft, erzählt er alte Geschichten, unterbrochen nur von Anmerkungen ihres Verbindungsmannes am Boden in Houston. Man glaubt sich in einer romantischen Komödie – doch dann kommt der kurze Sturm der Trümmer, zerstört die Raumstation und tötet alle Astronauten außer Clooney und Bullock. Auch Houston meldet sich nicht mehr.

Was folgt, ist im Kern die schon oft erzählte Geschichte eines Überlebens gegen alle Wahrscheinlichkeit, in der Einfallsreichtum, Durchhaltevermögen und auch eine Portion Glück im Unglück zusammenkommen müssen. Mit geschicktem Ton-Design, das vor allem die Stille des Alls effektvoll einsetzt, und tricktechnischer Präzision, die den Eindruck erweckt, es sei tatsächlich vor Ort gedreht worden, gelingt Cuarón ein Sciencefiction der besonderen Art. Der Film funktioniert einerseits als packendes Weltraumabenteuer mit einer Spur Ironie, andererseits aber wird eine Parabel erzählt über das Leben und die Hindernisse, die es dem Menschen in den Weg schickt, über unser aller Gefühl vom Verlorensein und über die Notwendigkeit, am Leben trotz alledem fest zu halten.

Im Wesentlichen ein Zwei-Personenstück, gehört „Gravity“ zu den Filmen, für die 3D ein Glücksfall ist: Die Tiefe des Alls und die Bewegungen der Schwerelosigkeit kommen hier bestens zur Geltung, wobei Cuarón das 3D nie als Gimmick einsetzt. Bei alledem sind aber auch die beiden Schauspieler zu bewundern, die die längste Zeit in dicken Raumanzügen aus Helmen heraus agieren müssen. Wo Bullock später im Film noch einiges an Action zu bewältigen hat, bleibt Clooney nur sein sanfter Bass, um seine Figur auszugestalten – selten war er

Für ein Festival, das in Zeiten der Digitaltechnik und Streamingdienste den Sinn seiner Existenz neu beweisen muss, erwies sich „Gravity“ als genau der richtige Film zum Auftakt. Für das Kino der Zukunft gilt genau so wie hier: Manchmal reichen geringe Veränderungen, um Altes ganz neu erscheinen zu lassen, und überhaupt funktioniert das Neue oft dann am besten, wenn es sparsam eingesetzt wird.